Dieter Nestler, geboren 1936 in Stettin, studierte von 1958-1963 an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg bei Gresko, Hundertwasser, Schumacher und Arno. Ender der 70er Jahre entdecke er den Hafen für sich als faszinierende Bühne und Vermittler eigenwilliger Bildideen. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit hatte er Lehraufträge für Bildende Künste in Hamburg. Er arbeitete bis 2010.
Für ihn war der Hamburger Hafen eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Farben, Strukturen, Geräusche und Gerüche beflügelten ihn. Sein Revier war vornehmlich das Gelände auf Steinwerder bis hin zum Tollerort im Hamburger Freihafen, wo er zeitweilig sein Atelier hatte.
Heute hat der Hafen ein anderes Gesicht. Die kleinen Schmuddelecken mußten moderner Logistik weichen. Nestlers Fundus verschwand, aber seine Werke bestehen und sind u.a. bei Hapag Lloyd in exponierter Lage zu betrachten.
Willkommen
Sie sind auf der Homepage von Dieter Nestler und sehen hier eine Auswahl seiner Bilder und Objekte, die innerhalb der vergangenen 50 Jahre bis 2012 entstanden sind.
Für ihn war der Hamburger Hafen eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Farben, Strukturen, Geräusche und Gerüche beflügelten ihn. Sein Revier war vornehmlich das Gelände auf Steinwerder bis hin zum Tollerort. Oft war er auf dem Containerhof von Nils Pahl und in Herta´s Stübchen.
Heute hat der Hafen ein anderes Gesicht. Die kleinen Schmuddelecken mußten moderner Logistik weichen. Nestlers Fundus verschwand aber seine Werke bestehen und sind u.a. bei Hapag Lloyd in exponierter Lage zu betrachten.
Biografie
1936
1945
Flucht in den Westen
1957
Abitur am Johanneum Lüneburg
1958-63
Studium der Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg
bei Georg Gresko, Friedensreich Hundertwasser, Emil Schumacher und Walter Arno,
sowie bei Bontjes van Beek (Keramik) und Hans Meyer-Veden (Fotografie)
1961
Erster Preis für Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg
1963
Kunsterzieherexamen. Seitdem als freischaffender Künstler in Hamburg tätig mit Lehraufträgen an versch. Hamburger Gymnasien. Anfangs „Jalousiebilder“ und „Wasserspiegelungen“
1978
Beginn der „Container Art
ab 1986 „Werftstücke“
ab 1993 „Werftblöcke“
ab 1998 „Ankerbilder“
Videos
Ausstellungen
Einzelausstellungen
1981 – Rathaus Reinbek
1981 – Museum für Hamburgische Geschichte
1982 – Galerie Below Stuttgart
1986 – Künstlerzentrum Lübeck
1988 – Kunstverein Langenhagen
1994 – Forum Alte Werft Papenburg
1998 – Schifffahrtsmuseum Rostock
2000 – Speicherstadt Hamburg
2005 – Hundertwasserbahnhof Uelzen
2006 – Galerie Elbchaussee Hamburg
2007 – Nord-Ostsee-Sparkasse Schleswig
Ausstellungsbeteiligungen u.a.
1954 – Museum Lüneburg
1962 – Overbeck-Gesellschaft Lübeck
1962 – Kunstverein Beckum/Westf.
1970 – „Junge Hamburger Künstler“, Kunsthaus Hamburg
1972 – Galerie von Loeper Hamburg
1972 – Kunstmarkt Düsseldorf
1977 – Galerie Düneberg 185, Geesthacht
1978 – Sommersalon Kunsthaus Hamburg
1980 – „Stadt“, BBK Hamburg
1981 – ART – Heft 2/81
1982 – Kulturring Brunsbüttel
1984 – Kunstverein Elmshorn
1985 – Deutscher Künstlerbund Hannover
1985 – Kunstpreis Hamburg-Altona
1986 – Frühjahrsausstellung Herrenwyk/Lübeck
1987 – „Wasser“, BBK Hamburg
1987 – Kunstverein Bonn
1988 – „LES ARCS“, Quéven/Bretagne
1989 – „Hafen Handel Arbeit“, BBK Hamburg
1989 – Hamburg-Vertretung Bonn
2003 – „Abbruch/Aufbruch“, Speicherstadt Hamburg
Einzelausstellungen
1981 – Rathaus Reinbek
1981 – Museum für Hamburgische Geschichte
1982 – Galerie Below Stuttgart
1986 – Künstlerzentrum Lübeck
1988 – Kunstverein Langenhagen
1994 – Forum Alte Werft Papenburg
1998 – Schifffahrtsmuseum Rostock
2000 – Speicherstadt Hamburg
2005 – Hundertwasserbahnhof Uelzen
2006 – Galerie Elbchaussee Hamburg
2007 – Nord-Ostsee-Sparkasse Schleswig
Ausstellungsbeteiligungen u.a.
1954 – Museum Lüneburg
1962 – Overbeck-Gesellschaft Lübeck
1962 – Kunstverein Beckum/Westf.
1970 – „Junge Hamburger Künstler“, Kunsthaus Hamburg
1972 – Galerie von Loeper Hamburg
1972 – Kunstmarkt Düsseldorf
1977 – Galerie Düneberg 185, Geesthacht
1978 – Sommersalon Kunsthaus Hamburg
1980 – „Stadt“, BBK Hamburg
1981 – ART – Heft 2/81
1982 – Kulturring Brunsbüttel
1984 – Kunstverein Elmshorn
1985 – Deutscher Künstlerbund Hannover
1985 – Kunstpreis Hamburg-Altona
1986 – Frühjahrsausstellung Herrenwyk/Lübeck
1987 – „Wasser“, BBK Hamburg
1987 – Kunstverein Bonn
1988 – „LES ARCS“, Quéven/Bretagne
1989 – „Hafen Handel Arbeit“, BBK Hamburg
1989 – Hamburg-Vertretung Bonn
2003 – „Abbruch/Aufbruch“, Speicherstadt Hamburg
Texte
Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle):
Dieter Nestler malt Bilder der Erinnerung an Gesehenes, Wahrgenommenes. Er hat dazu ein schon vor drei Jahrzehnten begonnenes, sich stets weiter vermehrendes Lager aus Bildzeichen entwickelt. Diese Bildzeichen fügt er in seine Malerei ein, die durch eine zügige, energische Pinselhandschrift bestimmt ist. Die Motive der Bildzeichen, die Nestler in seiner Erinnerung gelagert hat, gehören zur Welt der Container, des Hafens, des Seetransports. Die Zeichen, die er gesammelt hat, kommen aus dieser Welt. Ihre Vorbilder waren oft Buchstaben und Ziffern, die einmal sachliche Angaben über Größe und Gewicht mitteilten oder Firmensignets, offizielle Warnsignale, handschriftliche Hinzufügungen. Nicht alle Zeichen sind lesbar, sei es, weil sie als Fetzen erscheinen, sei es, weil sie partienweise übermalt sind.
Es gab Zeiten, in denen die Hartfaser- oder Spanplatte, die sein Bildträger war, durch aufgeklebte breite Leisten in Felder gegliedert wurde, als seien es reale Containerflächen. Und im Sommer 1986 fand Nestler in einer stillgelegten Halle im Hafen Formteile, Konstruktionsschablonen, auch „Mallen“ genannt, und Spantenrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden. Daraus machte er Montagen, kühl gegliederte Reliefs, manchmal ohne malerischen Eingriff, wie aus Respekt vor den Spuren der Zeichnungen und Maßangaben der Bootsbauer, in anderen Fällen mit sparsamen Signalen des Pinsels. Beide Wege ist Nestler nicht lange gegangen. Er dürfte davon gelassen haben, um sich die Freiheit seiner Malerei zu bewahren. Gewiss fehlen in seinen Bildern nie die Ordnungselemente, seien es Orthogonale, seien es Bildzeichen. Sie ist stets der Gegenpart der Bildzeichen. Sie schafft das Element, in dem die Bildzeichen, die Erinnerungszeichen ihre Wirkung entfalten. Die See ist vielleicht Nestlers Element, gewiss aber ist seine Malerei erfüllt vom Erleben des Wassers.
Helmut R. Leppin
Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle):
Dieter Nestler malt Bilder der Erinnerung an Gesehenes, Wahrgenommenes. Er hat dazu ein schon vor drei Jahrzehnten begonnenes, sich stets weiter vermehrendes Lager aus Bildzeichen entwickelt. Diese Bildzeichen fügt er in seine Malerei ein, die durch eine zügige, energische Pinselhandschrift bestimmt ist. Die Motive der Bildzeichen, die Nestler in seiner Erinnerung gelagert hat, gehören zur Welt der Container, des Hafens, des Seetransports. Die Zeichen, die er gesammelt hat, kommen aus dieser Welt. Ihre Vorbilder waren oft Buchstaben und Ziffern, die einmal sachliche Angaben über Größe und Gewicht mitteilten oder Firmensignets, offizielle Warnsignale, handschriftliche Hinzufügungen. Nicht alle Zeichen sind lesbar, sei es, weil sie als Fetzen erscheinen, sei es, weil sie partienweise übermalt sind.
Es gab Zeiten, in denen die Hartfaser- oder Spanplatte, die sein Bildträger war, durch aufgeklebte breite Leisten in Felder gegliedert wurde, als seien es reale Containerflächen. Und im Sommer 1986 fand Nestler in einer stillgelegten Halle im Hafen Formteile, Konstruktionsschablonen, auch „Mallen“.genannt, und Spantenrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden.Daraus machte er Montagen, kühl gegliederte Reliefs, manchmal ohne malerischen Eingriff, wie aus Respekt vor den Spuren der Zeichnungen und Maßangaben der Bootsbauer, in anderen Fällen mit sparsamen Signalen des Pinsels.Beide Wege ist Nestler nicht lange gegangen. Er dürfte davon gelassen haben, um sich die Freiheit seiner Malerei zu bewahren Gewiss fehlen in seinen Bildern nie die Ordnungselemente, seien es Orthogonale, seien es Bildzeichen. Sie ist stets der Gegenpart der Bildzeichen. Sie schafft das Element, in dem die Bildzeichen, die Erinnerungszeichen ihre Wirkung entfalten. Die See ist vielleicht Nestlers Element, gewiss aber ist seine Malerei erfüllt vom Erleben des Wassers.
Helmut R. Leppin
Wittwulf Malik – Gedanken zu Dieter Nestlers Hafen-Bilderwelt / Sehen und Hören
Wie monumental diese Nestlerschen Hafenbilder sich darstellen, sich vor uns hinstellen. So verweisen sie einerseits auf die Macht, die Übermacht des Materiellen, des Kommerzes in unserem modernen Leben, doch andererseits zeigen sie auch in ihrem stillen Dasein auf den immanenten Zauber, der in allen Dingen liegt, unabhängig davon, wie der Mensch sie für sich nutzt und verwertet.
Wenn ich diese Bilder sehe, beginne ich zu hören: ich höre die Wassergeräusche, das Platschen gegen die Schiffsplanken, gegen die Pontons, ich höre die dunkel-dröhnenden Schiffsmotoren, die Motoren der Kräne, das Quietschen der Eisenbahnwaggons, das Brummen der Container-LKWs, ich höre das Kreischen der über uns kreisenden Möwen, aber ich höre auch die Geräusche das Bauens und Malens, das Geräusch der Holzsägen, das ölige Gleiten des Pinsels, ja, ich rieche sogar die Düfte des Ateliers, die Farben und Terpentinverdünnungen.
Das alles lösen diese Bilder aus. Sie sind entstanden durch eine aufmerksame und sensible Wahrnehmung unserer Welt, der Hamburger Wasser- und Hafenwelt und jetzt tragen sie diese vitale Energie in sich selber, die äußere Welt in sich aufgenommen und verwandelt zu neuem eigenen Leben. Diese Energie ist zum Teil schon gewaltig, chaotisch, ja sogar gewalttätig, sie erzählt von Stürmen, Schiffsuntergängen, Kanonen, Kriegen, Lebenskatastrophen, aber sie ist auch still, geordnet, ordnend, reinigend, ja meditativ.
So treffen hier zwei Welten aufeinander, die der äußeren Realität und die einer inneren Schau und Vision auf das, was in und hinter den Dingen steht, was in und hinter ihnen wirkt.
Wittwulf Malik
Arne Rautenberg – In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
Die schöpferische Positionierung des 1936 in Stettin geborenen Materialkünstlers Dieter Nestler fällt eindeutig zugunsten der Mimikry aus: Seit vielen Jahren der Frachtgutwelt des Hamburger Hafens verfallen, hat Nestler seinen Blick für die ästhetischen Phänomene des im Hafen dominierenden Cargotums geschärft; der Hafen gilt dabei seit jeher als ein mächtiges Symbol: Er ist der Ort, von dem aus man ebenso in die Welt starten, bzw. an dem man mit jedem neu einlaufenden Schiff die Welt wieder vor die Füße gelegt bekommen kann; er ist ein Umschlagplatz für Waren, Wesen, Wissen, für Nahes und Fernes, ein Ort der ungeahnten Möglichkeiten, an dem sich Kreise schließen und der Weltgeist sich unmittelbarer und rascher entfesseln lässt als anderswo. Der Hafen ist eine nautische Daseinsmetapher, wie Hans Blumenberg es formulierte. Dieser magische Ort, mit seinen speziellen Codes und Zeichen, ist der inhaltliche und formale Ausgangspunkt der Arbeiten von Dieter Nestler. Hier sammelt er sein Bildmaterial sowohl im physischen, wie auch ideellen Sinn: die symbolhaften Firmenlabels und Cargo-Signets, die witterungsbedingten Container-Strukturen, Schablonen-Schriftsätze, Graffitis wie das der von Nestler gern eingesetzten „Waggon-Lilly“ (das aufgegriffene Kritzelpiktogramm eines Frauentorsos); zudem nimmt er Fundstücke, etwa Konstruktionsrisse oder hölzerne Bootsbauschablonen als Bezugsgrößen mit in seine Arbeiten, Bilder und Skulpturen, hinein.
Selbst die Grundformen der Bilder sind durchtränkt von Hafenwirklichkeit: Ob rechteckig Containern nachempfunden, rund wie eine Kesselstirn oder sechseckig wie die Seiten riesiger Abfallbehälter – Dieter Nestler bannt in seinen Bildern die Kraft und Sehnsucht, die sich in der Hamburger Hafenwelt manifestiert. Um dem gemeinen Betrachter, dem die mal raue, mal feine Schönheit dieser Welt in der Regel verborgen bleibt, als ein Faszinosum zu offenbaren, hat Nestler sein Label geschaffen: NCA (Nestrans Container Art) – – und in manch einer Möwensilhouette, die leitmotivisch durch Nestlers Bildwelt fliegt, mag man das andere „Ich“ ihres Erzeugers mit ausmachen; denn Möwe und Künstler haben einiges gemeinsam: gelten sie doch als sturmerprobte Segelkünstler, die in langen Gleitflügen über den menschlichen Häuptern schweben und so ihrem eroberten Luftraum angehören.
Die Arbeit von Dieter Nestler steht in einer kunstgeschichtlichen Tradition, die sich an den Collagenumgang von Kurt Schwitters anlehnt; denn bei Schwitters wurde die künstlerische Praxis, Realgegenstände in Kunstwerke zu integrieren, um Ausschnitte der Wirklichkeit in die Kunst zu holen, zum Programm. „Der Abfall der Welt dient mir zur Kunst“ schrieb er. Doch anders als Schwitters, der bewusst willkürlich seinen Abfall auswählte, um diese Willkür als totale Befreiung zu feiern, sucht Nestler seine Fundstücke bewusst aus dem Hafenkontext und will sie in seiner Arbeit auch wieder in diesem Kontext präsentiert sehen.
Seinen künstlerischen Emanzipationsprozess hatte Nestler in den 60er Jahren. Ab 1953 hatte der Amerikaner Robert Rauschenberg mit seinen „Combine Paintings“ wieder an Schwitters angeknüpft, in dem er seine vom Abstrakten Expressionismus herkommende Malerei plötzlich mit Objekten kombinierte, die er als Material des Alltäglichen auswählte, um die Grenze zwischen Malerei und Skulptur einzureißen. Sein Credo „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist“, gilt als ein weiterer Versuch, die Lücke zwischen Kunst und Leben zu schließen – und war der Startschuss für das, was später in der Kunsthistorie als Pop Art und Environment bekannt wurde. Genau an diesem Punkt lässt sich der Hebel ansetzen, der es erlaubt, tiefer in den Geist der Bildwelt Dieter Nestlers einzudringen: Mit Mitteln der Malerei (die zum Teil in Trompe- l´oeil-Manier Oberflächen vortäuscht), der Collage und Assemblage soll es den Betrachtern von Nestlers Bildwelten schwer gemacht werden, Gegenstand und Kunstrealität eindeutig zu trennen. Integrierte Reproduktionstechniken wie Fotografie, Siebdruck und Sprühschablone unterstützen ihrerseits die angestrebte Wiedervereinigung.
Es gilt, eine Brücke zu schlagen, die sich von der Kunstwelt mitten ins Herz der Hafenwelt (und wieder zurück) spannt. Es gilt weiter, die eine Lebenswirklichkeit zu fassen, die sich in all ihren Erscheinungsformen, ob auf dem Werftgelände oder an der Galeriewand, zeigt; und ein Gefühl für die Überlagerung von Kunst und Leben zu erfahren. Der unkritische Impetus der Pop Art (Sieh hin! Und habe Spaß!) findet sich dabei auch in Arbeiten von Dieter Nestler; seine Kunstwerke grüßen vom Randbereich der Konsumgesellschaft, von einem Ort der Zwischenwelt, irgendwo zwischen übler Maloche und dem großen Geld, das sich damit machen lässt.
Allein Nestlers jüngstes Motiv, der Anker, weist auf ein Symbol des Glaubens und – obwohl gelichtet – auf die Möglichkeit des Verweilens, einen Platz der Hoffung, einer Ruhe vor dem nächsten Sturm.
Arne Rautenberg
Arne Rautenberg – In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
Die schöpferische Positionierung des 1936 in Stettin geborenen Materialkünstlers Dieter Nestler fällt eindeutig zugunsten der Mimikry aus: Seit vielen Jahren der Frachtgutwelt des Hamburger Hafens verfallen, hat Nestler seinen Blick für die ästhetischen Phänomene des im Hafen dominierenden Cargotums geschärft; der Hafen gilt dabei seit jeher als ein mächtiges Symbol: Er ist der Ort, von dem aus man ebenso in die Welt starten, bzw. an dem man mit jedem neu einlaufenden Schiff die Welt wieder vor die Füße gelegt bekommen kann; er ist ein Umschlagplatz für Waren, Wesen, Wissen, für Nahes und Fernes, ein Ort der ungeahnten Möglichkeiten, an dem sich Kreise schließen und der Weltgeist sich unmittelbarer und rascher entfesseln lässt als anderswo. Der Hafen ist eine nautische Daseinsmetapher, wie Hans Blumenberg es formulierte. Dieser magische Ort, mit seinen speziellen Codes und Zeichen, ist der inhaltliche und formale Ausgangspunkt der Arbeiten von Dieter Nestler. Hier sammelt er sein Bildmaterial sowohl im physischen, wie auch ideellen Sinn: die symbolhaften Firmenlabels und Cargo-Signets, die witterungsbedingten Container-Strukturen, Schablonen-Schriftsätze, Graffitis wie das der von Nestler gern eingesetzten „Waggon-Lilly“ (das aufgegriffene Kritzelpiktogramm eines Frauentorsos); zudem nimmt er Fundstücke, etwa Konstruktionsrisse oder hölzerne Bootsbauschablonen als Bezugsgrößen mit in seine Arbeiten, Bilder und Skulpturen, hinein.
Selbst die Grundformen der Bilder sind durchtränkt von Hafenwirklichkeit: Ob rechteckig Containern nachempfunden, rund wie eine Kesselstirn oder sechseckig wie die Seiten riesiger Abfallbehälter – Dieter Nestler bannt in seinen Bildern die Kraft und Sehnsucht, die sich in der Hamburger Hafenwelt manifestiert. Um dem gemeinen Betrachter, dem die mal raue, mal feine Schönheit dieser Welt in der Regel verborgen bleibt, als ein Faszinosum zu offenbaren, hat Nestler sein Label geschaffen: NCA (Nestrans Container Art) – und in manch einer Möwensilhouette, die leitmotivisch durch Nestlers Bildwelt fliegt, mag man das andere „Ich“ ihres Erzeugers mit ausmachen; denn Möwe und Künstler haben einiges gemeinsam: gelten sie doch als sturmerprobte Segelkünstler, die in langen Gleitflügen über den menschlichen Häuptern schweben und so ihrem eroberten Luftraum angehören.
Die Arbeit von Dieter Nestler steht in einer kunstgeschichtlichen Tradition, die sich an den Collagenumgang von Kurt Schwitters anlehnt; denn bei Schwitters wurde die künstlerische Praxis, Realgegenstände in Kunstwerke zu integrieren, um Ausschnitte der Wirklichkeit in die Kunst zu holen, zum Programm. „Der Abfall der Welt dient mir zur Kunst“ schrieb er. Doch anders als Schwitters, der bewusst willkürlich seinen Abfall auswählte, um diese Willkür als totale Befreiung zu feiern, sucht Nestler seine Fundstücke bewusst aus dem Hafenkontext und will sie in seiner Arbeit auch wieder in diesem Kontext präsentiert sehen.
Seinen künstlerischen Emanzipationsprozess hatte Nestler in den 60er Jahren. Ab 1953 hatte der Amerikaner Robert Rauschenberg mit seinen „Combine Paintings“ wieder an Schwitters angeknüpft, in dem er seine vom Abstrakten Expressionismus herkommende Malerei plötzlich mit Objekten kombinierte, die er als Material des Alltäglichen auswählte, um die Grenze zwischen Malerei und Skulptur einzureißen. Sein Credo „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist“, gilt als ein weiterer Versuch, die Lücke zwischen Kunst und Leben zu schließen – und war der Startschuss für das, was später in der Kunsthistorie als Pop Art und Environment bekannt wurde. Genau an diesem Punkt lässt sich der Hebel ansetzen, der es erlaubt, tiefer in den Geist der Bildwelt Dieter Nestlers einzudringen: Mit Mitteln der Malerei (die zum Teil in Trompe- l´oeil-Manier Oberflächen vortäuscht), der Collage und Assemblage soll es den Betrachtern von Nestlers Bildwelten schwer gemacht werden, Gegenstand und Kunstrealität eindeutig zu trennen. Integrierte Reproduktionstechniken wie Fotografie, Siebdruck und Sprühschablone unterstützen ihrerseits die angestrebte Wiedervereinigung.
Es gilt, eine Brücke zu schlagen, die sich von der Kunstwelt mitten ins Herz der Hafenwelt (und wieder zurück) spannt. Es gilt weiter, die eine Lebenswirklichkeit zu fassen, die sich in all ihren Erscheinungsformen, ob auf dem Werftgelände oder an der Galeriewand, zeigt; und ein Gefühl für die Überlagerung von Kunst und Leben zu erfahren. Der unkritische Impetus der Pop Art (Sieh hin! Und habe Spaß!) findet sich dabei auch in Arbeiten von Dieter Nestler; seine Kunstwerke grüßen vom Randbereich der Konsumgesellschaft, von einem Ort der Zwischenwelt, irgendwo zwischen übler Maloche und dem großen Geld, das sich damit machen lässt.
Allein Nestlers jüngstes Motiv, der Anker, weist auf ein Symbol des Glaubens und – obwohl gelichtet – auf die Möglichkeit des Verweilens, einen Platz der Hoffung, einer Ruhe vor dem nächsten Sturm.
Arne Rautenberg
Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
In ihrer letzten Ausgabe vom 28.12.2006 titelt DIE ZEIT : Wo bleibt die Zeit. Jedes Jahr scheint schneller zu verstreichen. Und der Zeitdruck ist so hoch wie noch nie. Wie es gelingen kann, die Langsamkeit neu zu entdecken.
Tatsächlich werden in unserer schnelllebigen, von der Rasanz technisch-ökonomischer Abläufe geprägten Zeit- time is money- die individuellen und sozialen, physischen und psychischen Folgen solcher Beschleunigungs-prozesse zunehmend besorgt erkannt und als belastend erfahren.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln sich schon seit langem mit einer solchen Thematik auseinandersetzen. Beispielhaft sei der aus heutiger Sicht eher naiv anmutende Fortschrittsglaube und die optimistische Glorifizierung von Geschwindigkeit durch die Futuristen erwähnt.
Demgegenüber lassen die Uhrobjekte von Dieter Nestler eher ein bedächtig –melancholisches, auch ironisches Verhältnis zur Problematik individueller und objektiver Zeit erkennen. Wie Fetische einer Kultur aus ferner Zeit treten uns die Objekte entgegen, bereit, ihre magische Kraft gegenüber einem entfesselten Zeit- Geist zu entfalten. Blickpunkt aller Raumobjekte und reliefartigen Wandobjekte sind eingebaute Uhren, rund, mit und ohne Zifferblatt. Diese Uhren funktionieren, wie man es von ihnen erwartet: sie zeigen die Zeit an, objektiv und zuverlässig, exakt auf die Stunde, Minute und Sekunde.
Aber das ist natürlich nicht alles, dazu bedürfte es keiner aufwendigen, zeitraubenden Gestaltung durch den Künstler. Dekoration ist nicht Dieter Nestlers Sache. Seinen Uhr-Sachen geht es um mehr. Werfen wir dazu einen Blick auf die Gestaltung der Objekte.
Die stelenartigen Raumobjekte wirken in ihrer äußeren Gestalt zunächst statuarisch und unbeweglich. In der Betonung der Vertikalen und ausgewogenen Statik der miteinander verbundenen Einzelteile wird eine klare konstruktive Struktur sichtbar. Diese gibt den Objekten, durch einen flachen Sockel unterstützt, Stand und Festigkeit, ja Stillstand, wären da nicht die im Sekundentakt nervös tickenden Zeigerlinien und das überaus bewegte Innenleben der Objekte.
Ganz im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und formalen Gliederung werden im Inneren der Objekte Malprozesse sichtbar, also subjektive Zeitabläufe: tachistisch verlaufene und geronnene Spuren der Malaktion und kurze stürmische Pinselstriche drängen an die Grenzen ihrer Binnenform, Farbflächen brechen abrupt ab, bleiben fragmentarisch, Übergänge deuten sich an, Übermalungen und Untermalungen sind erkennbar, lasierender und deckender Farbauftrag – Dieter Nestler beherrscht das Instrumentarium seiner malerischer Mittel.
Hinzu kommt die Einbeziehung heterogener, häufig vorgefundener Materialien, deren Gebrauchsspuren und –formen willkommen sind. Etwa ein im Hafen gefundener Farbrührstab oder Holzschablonen von einer alten Bootswerft aus vergangener Zeit unterhalb der Köhlbrandbrücke, auch vereinzelte Fotos längst entsorgter Hafenkräne finden ihren Platz.
Allen diesen Fundstücken gemeinsam ist, dass sie, ihrer ursprünglichen Funktion ledig, scheinbar nutzlos sind. Erst ihre Verwendung im Objekt rückt sie erneut in unser Blickfeld, Spuren ihrer Gebrauchsgeschichte werden ablesbar, gespeicherte Gebrauchszeit erfahrbar.
Indem Dieter Nestler diese Materialien, Farben und Malweisen im Objekt zu einem Ganzen fügt, thematisiert er gleichzeitig objektive und subjektive Zeitvorgänge, Dynamik und Statik. Die Einbindung des Alltagsgegenstandes, die Uhr, in das ästhetische Objekt erweitert so dessen Gebrauchswert, sie macht Sinn.
Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die Fragen im eingangs zitierten Titel der Wochenzeitung zurückzukommen. Am Beispiel der angesprochenen Objekte wird deutlich, wie die Antwort des Künstlers aussieht. In der Gestaltung seines Werkes, im kreativen Umgang mit der eigenen Lebens-Zeit verbinden sich sorgfältig- langwierige Konstruktion und spontan-dynamische Aktion: nicht die vermeintliche Neuentdeckung der Langsamkeit ist daher allein von Bedeutung, sondern das sinnstiftende Wechselspiel dynamischer und statischer Lebensprozesse, der gestaltete Wechsel von Vorgängen der Beschleunigung und Entschleunigung, der Spannung und Entspannung. In diesem Sinne sind die Uhrsachen von Dieter Nestler Monumente einer umfassenden Zeitlichkeit menschlicher Existenz.
Hannover, im Januar 2007
Jürgen Schneyder
Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
In ihrer letzten Ausgabe vom 28.12.2006 titelt DIE ZEIT : Wo bleibt die Zeit. Jedes Jahr scheint schneller zu verstreichen. Und der Zeitdruck ist so hoch wie noch nie. Wie es gelingen kann, die Langsamkeit neu zu entdecken.
Tatsächlich werden in unserer schnelllebigen, von der Rasanz technisch-ökonomischer Abläufe geprägten Zeit- time is money- die individuellen und sozialen, physischen und psychischen Folgen solcher Beschleunigungs-prozesse zunehmend besorgt erkannt und als belastend erfahren.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln sich schon seit langem mit einer solchen Thematik auseinandersetzen. Beispielhaft sei der aus heutiger Sicht eher naiv anmutende Fortschrittsglaube und die optimistische Glorifizierung von Geschwindigkeit durch die Futuristen erwähnt.
Demgegenüber lassen die Uhrobjekte von Dieter Nestler eher ein bedächtig –melancholisches, auch ironisches Verhältnis zur Problematik individueller und objektiver Zeit erkennen. Wie Fetische einer Kultur aus ferner Zeit treten uns die Objekte entgegen, bereit, ihre magische Kraft gegenüber einem entfesselten Zeit- Geist zu entfalten. Blickpunkt aller Raumobjekte und reliefartigen Wandobjekte sind eingebaute Uhren, rund, mit und ohne Zifferblatt. Diese Uhren funktionieren, wie man es von ihnen erwartet: sie zeigen die Zeit an, objektiv und zuverlässig, exakt auf die Stunde, Minute und Sekunde.
Aber das ist natürlich nicht alles, dazu bedürfte es keiner aufwendigen, zeitraubenden Gestaltung durch den Künstler. Dekoration ist nicht Dieter Nestlers Sache. Seinen Uhr-Sachen geht es um mehr. Werfen wir dazu einen Blick auf die Gestaltung der Objekte.
Die stelenartigen Raumobjekte wirken in ihrer äußeren Gestalt zunächst statuarisch und unbeweglich. In der Betonung der Vertikalen und ausgewogenen Statik der miteinander verbundenen Einzelteile wird eine klare konstruktive Struktur sichtbar. Diese gibt den Objekten, durch einen flachen Sockel unterstützt, Stand und Festigkeit, ja Stillstand, wären da nicht die im Sekundentakt nervös tickenden Zeigerlinien und das überaus bewegte Innenleben der Objekte.
Ganz im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und formalen Gliederung werden im Inneren der Objekte Malprozesse sichtbar, also subjektive Zeitabläufe: tachistisch verlaufene und geronnene Spuren der Malaktion und kurze stürmische Pinselstriche drängen an die Grenzen ihrer Binnenform, Farbflächen brechen abrupt ab, bleiben fragmentarisch, Übergänge deuten sich an, Übermalungen und Untermalungen sind erkennbar, lasierender und deckender Farbauftrag – Dieter Nestler beherrscht das Instrumentarium seiner malerischer Mittel.
Hinzu kommt die Einbeziehung heterogener, häufig vorgefundener Materialien, deren Gebrauchsspuren und –formen willkommen sind. Etwa ein im Hafen gefundener Farbrührstab oder Holzschablonen von einer alten Bootswerft aus vergangener Zeit unterhalb der Köhlbrandbrücke, auch vereinzelte Fotos längst entsorgter Hafenkräne finden ihren Platz.
Allen diesen Fundstücken gemeinsam ist, dass sie, ihrer ursprünglichen Funktion ledig, scheinbar nutzlos sind. Erst ihre Verwendung im Objekt rückt sie erneut in unser Blickfeld, Spuren ihrer Gebrauchsgeschichte werden ablesbar, gespeicherte Gebrauchszeit erfahrbar.
Indem Dieter Nestler diese Materialien, Farben und Malweisen im Objekt zu einem Ganzen fügt, thematisiert er gleichzeitig objektive und subjektive Zeitvorgänge, Dynamik und Statik. Die Einbindung des Alltagsgegenstandes, die Uhr, in das ästhetische Objekt erweitert so dessen Gebrauchswert, sie macht Sinn.
Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die Fragen im eingangs zitierten Titel der Wochenzeitung zurückzukommen. Am Beispiel der angesprochenen Objekte wird deutlich, wie die Antwort des Künstlers aussieht. In der Gestaltung seines Werkes, im kreativen Umgang mit der eigenen Lebens-Zeit verbinden sich sorgfältig- langwierige Konstruktion und spontan-dynamische Aktion: nicht die vermeintliche Neuentdeckung der Langsamkeit ist daher allein von Bedeutung, sondern das sinnstiftende Wechselspiel dynamischer und statischer Lebensprozesse, der gestaltete Wechsel von Vorgängen der Beschleunigung und Entschleunigung, der Spannung und Entspannung. In diesem Sinne sind die Uhrsachen von Dieter Nestler Monumente einer umfassenden Zeitlichkeit menschlicher Existenz.
Hannover, im Januar 2007
Jürgen Schneyder
Dieter Nestler – Wasserspiegelungen
Angesichts der vielfältigen Präsenz von Wasser in meiner Umgebung lag es nahe, dass sich im Laufe der Zeit mein gestalterisches Interesse den verschiedenartigen Erscheinungsformen dieses Elements zugewendet hat.
Mich faszinierte das unstete Wechselspiel der Spiegelbilder von Häusern, Fenstern, Segeln und Schiffen, denen ich kompositorische Eigenständigkeit und Dichte zu geben versuchte. Gleichzeitig wollte ich die Jalousie-Lamellen in Spiegelformen übergehen lassen, um den selbst inszenierten Käfig aufzulösen und ihn zu verlassen.
Es gibt eine Reihe von Siebdruckentwürfen (von denen nur wenige realisiert wurden), wo die Lamellen in Spiegelformen übergehen, wie ich sie im Wasser beobachtet hatte. Es entstanden „Wasserspiegelungen“.
Friedensreich Hundertwasser war einer meiner Lehrer an der Hochschule gewesen. Er hätte sich möglicherweise über die Annäherung im Geiste eines seiner ehemaligen Schüler gefreut. Die fließende Linie war ja sein gestalterisches Credo. Ich wollte aber nicht, dass sich die Linien in dekorativen Schnörkeln verlieren. Die Strukturierung sollte erhalten bleiben.
Unter einem von den Studenten errichteten Baldachin auf einem Tisch sitzend, zelebrierte Hundertwasser seine Philosophie des „Spiraloid aus dem Geiste der Wüste“. Sie mündete in ein Happening, wohl das erste überhaupt, welches der Meister und sein Adlatus Bazon Brock gemeinsam mit den abwechselnd beteiligten Kunststudenten veranstalteten: das Ziehen einer ununterbrochenen Linie, die im Klassenraum begann und sich letztlich bis ins Universum fortsetzen sollte. Dazu kam es allerdings nicht, denn die Provokation, die darin bestand, den traditionellen Kunstbegriff infrage zu stellen, wurde von der Hochschulleitung mit Abbruch und Rausschmiss geahndet. Ich empfand die Entscheidung und auch die Reaktion des größten Teils der Dozenten und Studenten als engstirnig und dumm. Man hatte ihnen die Show gestohlen! Die Idee, aus einer meditativen Atmosphäre heraus eine gemeinschaftliche Arbeit zu entwickeln, deren Ende offen blieb, aber die Fantasie ins Grenzenlose beflügelte, war damals für uns alle etwas ganz Neues und durchaus Beflügelndes.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Wasserspiegelungen
Angesichts der vielfältigen Präsenz von Wasser in meiner Umgebung lag es nahe, dass sich im Laufe der Zeit mein gestalterisches Interesse den verschiedenartigen Erscheinungsformen dieses Elements zugewendet hat.
Mich faszinierte das unstete Wechselspiel der Spiegelbilder von Häusern, Fenstern, Segeln und Schiffen, denen ich kompositorische Eigenständigkeit und Dichte zu geben versuchte. Gleichzeitig wollte ich die Jalousie-Lamellen in Spiegelformen übergehen lassen, um den selbst inszenierten Käfig aufzulösen und ihn zu verlassen.
Es gibt eine Reihe von Siebdruckentwürfen (von denen nur wenige realisiert wurden), wo die Lamellen in Spiegelformen übergehen, wie ich sie im Wasser beobachtet hatte. Es entstanden „Wasserspiegelungen“.
Friedensreich Hundertwasser war einer meiner Lehrer an der Hochschule gewesen. Er hätte sich möglicherweise über die Annäherung im Geiste eines seiner ehemaligen Schüler gefreut. Die fließende Linie war ja sein gestalterisches Credo. Ich wollte aber nicht, dass sich die Linien in dekorativen Schnörkeln verlieren. Die Strukturierung sollte erhalten bleiben.
Unter einem von den Studenten errichteten Baldachin auf einem Tisch sitzend, zelebrierte Hundertwasser seine Philosophie des „Spiraloid aus dem Geiste der Wüste“. Sie mündete in ein Happening, wohl das erste überhaupt, welches der Meister und sein Adlatus Bazon Brock gemeinsam mit den abwechselnd beteiligten Kunststudenten veranstalteten: das Ziehen einer ununterbrochenen Linie, die im Klassenraum begann und sich letztlich bis ins Universum fortsetzen sollte. Dazu kam es allerdings nicht, denn die Provokation, die darin bestand, den traditionellen Kunstbegriff infrage zu stellen, wurde von der Hochschulleitung mit Abbruch und Rausschmiss geahndet. Ich empfand die Entscheidung und auch die Reaktion des größten Teils der Dozenten und Studenten als engstirnig und dumm. Man hatte ihnen die Show gestohlen! Die Idee, aus einer meditativen Atmosphäre heraus eine gemeinschaftliche Arbeit zu entwickeln, deren Ende offen blieb, aber die Fantasie ins Grenzenlose beflügelte, war damals für uns alle etwas ganz Neues und durchaus Beflügelndes.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Jalousiebilder
Horizontale Rasterfelder gewährten mit kühl kalkulierten Farbverläufen, die die Bildfläche wie optische Gitter schlossen und öffneten, Durchblicke in scheinbare Landschaften. Diese sogenannten Jalousie-Bilder meldeten als Scheinfenster einen architektonischen Anspruch an. Ich entdeckte für mich die Möglichkeit, Landschaften mithilfe des Jalousie-Prinzips in ein transparentes System zu überführen und zu gliedern. Das entsprach meinem Bedürfnis nach Weite einerseits und rhythmisch kontrapunktischer Störung andererseits. So entstanden Landschaftsbilder mit stakkatohaften Abläufen, in denen ich versuchte, eine architektonische, raumbezogene Wirkung zu erzielen. Bilder als Scheinfenster, die einen realen Fensterausschnitt flankierten, der z..B. den Blick auf einen Kastanienbaum einrahmte.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Jalousiebilder
Horizontale Rasterfelder gewährten mit kühl kalkulierten Farbverläufen, die die Bildfläche wie optische Gitter schlossen und öffneten, Durchblicke in scheinbare Landschaften. Diese sogenannten Jalousie-Bilder meldeten als Scheinfenster einen architektonischen Anspruch an. Ich entdeckte für mich die Möglichkeit, Landschaften mithilfe des Jalousie-Prinzips in ein transparentes System zu überführen und zu gliedern. Das entsprach meinem Bedürfnis nach Weite einerseits und rhythmisch kontrapunktischer Störung andererseits. So entstanden Landschaftsbilder mit stakkatohaften Abläufen, in denen ich versuchte, eine architektonische, raumbezogene Wirkung zu erzielen. Bilder als Scheinfenster, die einen realen Fensterausschnitt flankierten, der z..B. den Blick auf einen Kastanienbaum einrahmte.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Container-Bilder
Irgendwann tauchten Container auf meiner Route auf. Es gab kein Entrinnen vor diesen schwerfällig dahinrollenden Bildwänden auf der Container-Route. So musste ich mich dieser neuen Handelsgrammatik zuwenden und lernte bald ehrfürchtig Abstand zu halten vor „Poison“, „Explosive Liquid“ und „Dangerous Goods“. Ich verfolgte den Weg zum Terminal, wo sie sich haushoch stapelten, Fluchten und Schluchten bildeten. Mein Interesse galt nie dem nutzlastigen Inhalt, sondern der Zeichensprache, die diese metallenen oder mehrfachsperrholzverleimten Kisten aussenden, dieser vielfältigen und vielschichtigen Beredsamkeit des internationalen Cargo-Gigantismus. Eine ausdrucksvolle realistische Sprache, eindeutig für den Kundigen, der tagtäglich Umgang mit ihr pflegt. Ein Ordnungssystem, gebunden an Güter, Chiffren und Strukturraster.
Zunächst übernahm ich die Struktur dieser metallenen Kisten. Erst als senkrechte Gliederungsmöglichkeit der Bildfläche, später in allen möglichen Strukturvarianten. Es entstanden komplizierte Bildkonzeptionen, die u.a. zu Kompositionen auf mehreren Bildebenen führten. Der Verzicht auf die illusionistischen Strukturraster, die dem Gliederungsprinzip des Containers entlehnt waren, eröffnete größeren gestalterischen Spielraum für materialbetontes Arbeiten.
Und in dem Maße, wie meine Arbeiten wieder das Material zuließen, sich vom Abbildhaften entfernten, Fundstücke aufnahmen und Objekt-Charakter bekamen, dokumentierte ich die Quellen meiner Inspiration fotografisch. So entstand ein Depot von Fotos aus dem Bereich des Hamburger Hafens: Schiffe, Brücken, Kräne, Gerät als Inventar eines gigantischen Skulpturenparks. In späteren Arbeiten konnte ich auf diesen Fundus als Collagematerial zurückgreifen. Wenn ich ein Emblem oder ein Wort übernehme, interessiert mich weniger die zweckgerichtete Bedeutung als vielmehr die Möglichkeit, zwischen diesen Zeichen und anderen Bildelementen neue, überraschende Beziehungen zu finden.
Abmalen habe ich allerdings nie im Sinn, auch wenn hier und da mal ein kleines Trompe-l´oeil unterläuft. Ich bewege mich frei und mutwillig in diesem unerschöpflichen Pandämonium der Cargo-Sprache. Ich beute sie aus als Lieferant von Bildideen, kopiere Firmenzeichen und Gefahren-Labels, reiße sie auseinander, füge Unterschiedliches zusammen, überlagere Teile, lasierend, deckend, collagierend, verdrehe sie, stelle sie auf den Kopf, ändere ihre Farbe, verliebe mich in Scheuer- oder Kleckerspuren, Rostflecken, Reparaturflicken oder die Jungfrau Veritas, Schutzpatronin der Transportversicherer.
Auch transferiere ich handschriftliche Vermerke, Fragmente von Bestimmungshinweisen, die oft skurrile dadaistische Zufallswortspiele hervorrufen. Nicht alle Zeichen sind bereits in Umlauf. Manchmal erfinde ich neue und entlasse sie, meinem gestalterischen Expansionstrieb folgend, in einen fiktiven Handelskreislauf: Containerlandschaften – Landschaftscontainer
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Container-Bilder
Irgendwann tauchten Container auf meiner Route auf. Es gab kein Entrinnen vor diesen schwerfällig dahinrollenden Bildwänden auf der Container-Route. So musste ich mich dieser neuen Handelsgrammatik zuwenden und lernte bald ehrfürchtig Abstand zu halten vor „Poison“, „Explosive Liquid“ und „Dangerous Goods“. Ich verfolgte den Weg zum Terminal, wo sie sich haushoch stapelten, Fluchten und Schluchten bildeten. Mein Interesse galt nie dem nutzlastigen Inhalt, sondern der Zeichensprache, die diese metallenen oder mehrfachsperrholzverleimten Kisten aussenden, dieser vielfältigen und vielschichtigen Beredsamkeit des internationalen Cargo-Gigantismus. Eine ausdrucksvolle realistische Sprache, eindeutig für den Kundigen, der tagtäglich Umgang mit ihr pflegt. Ein Ordnungssystem, gebunden an Güter, Chiffren und Strukturraster.
Zunächst übernahm ich die Struktur dieser metallenen Kisten. Erst als senkrechte Gliederungsmöglichkeit der Bildfläche, später in allen möglichen Strukturvarianten. Es entstanden komplizierte Bildkonzeptionen, die u.a. zu Kompositionen auf mehreren Bildebenen führten. Der Verzicht auf die illusionistischen Strukturraster, die dem Gliederungsprinzip des Containers entlehnt waren, eröffnete größeren gestalterischen Spielraum für materialbetontes Arbeiten.
Und in dem Maße, wie meine Arbeiten wieder das Material zuließen, sich vom Abbildhaften entfernten, Fundstücke aufnahmen und Objekt-Charakter bekamen, dokumentierte ich die Quellen meiner Inspiration fotografisch. So entstand ein Depot von Fotos aus dem Bereich des Hamburger Hafens: Schiffe, Brücken, Kräne, Gerät als Inventar eines gigantischen Skulpturenparks. In späteren Arbeiten konnte ich auf diesen Fundus als Collagematerial zurückgreifen. Wenn ich ein Emblem oder ein Wort übernehme, interessiert mich weniger die zweckgerichtete Bedeutung als vielmehr die Möglichkeit, zwischen diesen Zeichen und anderen Bildelementen neue, überraschende Beziehungen zu finden.
Abmalen habe ich allerdings nie im Sinn, auch wenn hier und da mal ein kleines Trompe-l´oeil unterläuft. Ich bewege mich frei und mutwillig in diesem unerschöpflichen Pandämonium der Cargo-Sprache. Ich beute sie aus als Lieferant von Bildideen, kopiere Firmenzeichen und Gefahren-Labels, reiße sie auseinander, füge Unterschiedliches zusammen, überlagere Teile, lasierend, deckend, collagierend, verdrehe sie, stelle sie auf den Kopf, ändere ihre Farbe, verliebe mich in Scheuer- oder Kleckerspuren, Rostflecken, Reparaturflicken oder die Jungfrau Veritas, Schutzpatronin der Transportversicherer.
Auch transferiere ich handschriftliche Vermerke, Fragmente von Bestimmungshinweisen, die oft skurrile dadaistische Zufallswortspiele hervorrufen. Nicht alle Zeichen sind bereits in Umlauf. Manchmal erfinde ich neue und entlasse sie, meinem gestalterischen Expansionstrieb folgend, in einen fiktiven Handelskreislauf: Containerlandschaften – Landschaftscontainer
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftstücke
Im Sommer 1986 fand ich zwischen Köhlbrand und Tollerort ein Gelände, auf dem gebrauchte Container gelagert und repariert wurden. Dort entdeckte ich eine alte stillgelegte Halle, ehemals Teil einer kleinen Werft, in der früher Boote gebaut wurden, die aber jetzt nur noch als Lagerraum diente. Sie befand sich am Ende des Kohlenschiffhafens.
Im Kehricht der von Maschinen und Werkzeugen längst geräumten Halle und in den dunklen Rumpelecken fand ich Formteile, Konstruktionsschablonen, auch Mallen genannt, und Spantrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden – teils intakt, teils als Bruchstücke, welche bereits für den Müll bestimmt waren.
Ich barg das Material aus Staub, Schutt und Schimmel, säuberte die Teile, flickte Auseinandergebrochenes wieder zusammen, ergänzte fehlende Elemente. Hinweise, Informationen, Markierungen wurden lesbar, eine Sprache aus Linien, Kürzeln, Zahlen und Worten wie Dollbord, Duchten, Sponung… Begriffe, die nur dem Eingeweihten verständlich sind.
Da ich nie einem vorgegebenen Plan folge, gebe ich dem Zufall Raum und lasse mich gern von seinen Mutwilligkeiten überraschen.
Es gibt eine Reihe von Objekten, in denen ich besonders behutsam mit dem gefundenen Material umgegangen bin. Dabei handelt es sich vorwiegend um Konstruktionsanweisungen für den Bootsbau, die ich aus dem Nachlassmüll der Werft geborgen hatte. Um die „Sprache“ der Anweisungen nicht zu stören, das lebendige Spiel von Linien, Zahlen und Beschriftungen in ihrer eigenwilligen Ästhetik zu erhalten, präsentiere ich sie mit nur geringfügigen Eingriffen so, dass sie als eine Art Spurensicherung von Arbeit im Hafenbereich angesehen werden können. Diese Spuren aus der Arbeitswelt des traditionellen Bootsbaus wären ohne meinen Zugriff verwischt. Hätte mich nicht mein Interesse, neue Aspekte für mein langjähriges künstlerisches Arbeitsprogramm NESTRANS CONTAINER ART zu erschließen, an diesen Ort geführt, so gäbe es keine handfesten Zeugnisse mehr von dieser häufig im Sturm gefluteten und nun untergegangenen Welt.
Ich war Jörgen Bracker, der damalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, dankbar, dass er mir die Möglichkeit gab, meine Bilder und Objekte in seinem Museum zu zeigen, und zwar im Innenraum wie auch im neu überkuppelten und damit vor Regen geschützten Innenhof.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftstücke
Im Sommer 1986 fand ich zwischen Köhlbrand und Tollerort ein Gelände, auf dem gebrauchte Container gelagert und repariert wurden. Dort entdeckte ich eine alte stillgelegte Halle, ehemals Teil einer kleinen Werft, in der früher Boote gebaut wurden, die aber jetzt nur noch als Lagerraum diente. Sie befand sich am Ende des Kohlenschiffhafens.
Im Kehricht der von Maschinen und Werkzeugen längst geräumten Halle und in den dunklen Rumpelecken fand ich Formteile, Konstruktionsschablonen, auch Mallen genannt, und Spantrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden – teils intakt, teils als Bruchstücke, welche bereits für den Müll bestimmt waren.
Ich barg das Material aus Staub, Schutt und Schimmel, säuberte die Teile, flickte Auseinandergebrochenes wieder zusammen, ergänzte fehlende Elemente. Hinweise, Informationen, Markierungen wurden lesbar, eine Sprache aus Linien, Kürzeln, Zahlen und Worten wie Dollbord, Duchten, Sponung… Begriffe, die nur dem Eingeweihten verständlich sind.
Da ich nie einem vorgegebenen Plan folge, gebe ich dem Zufall Raum und lasse mich gern von seinen Mutwilligkeiten überraschen.
Es gibt eine Reihe von Objekten, in denen ich besonders behutsam mit dem gefundenen Material umgegangen bin. Dabei handelt es sich vorwiegend um Konstruktionsanweisungen für den Bootsbau, die ich aus dem Nachlassmüll der Werft geborgen hatte. Um die „Sprache“ der Anweisungen nicht zu stören, das lebendige Spiel von Linien, Zahlen und Beschriftungen in ihrer eigenwilligen Ästhetik zu erhalten, präsentiere ich sie mit nur geringfügigen Eingriffen so, dass sie als eine Art Spurensicherung von Arbeit im Hafenbereich angesehen werden können. Diese Spuren aus der Arbeitswelt des traditionellen Bootsbaus wären ohne meinen Zugriff verwischt. Hätte mich nicht mein Interesse, neue Aspekte für mein langjähriges künstlerisches Arbeitsprogramm NESTRANS CONTAINER ART zu erschließen, an diesen Ort geführt, so gäbe es keine handfesten Zeugnisse mehr von dieser häufig im Sturm gefluteten und nun untergegangenen Welt.
Ich war Jörgen Bracker, der damalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, dankbar, dass er mir die Möglichkeit gab, meine Bilder und Objekte in seinem Museum zu zeigen, und zwar im Innenraum wie auch im neu überkuppelten und damit vor Regen geschützten Innenhof.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG
Texte
Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle):
Dieter Nestler malt Bilder der Erinnerung an Gesehenes, Wahrgenommenes.Er hat dazu ein schon vor drei Jahrzehnten begonnenes,sich stets weiter vermehrendes Lager aus Bildzeichen entwickelt.Diese Bildzeichen fügt er in seine Malerei ein, die durch eine zügige, energische Pinselhandschrift bestimmt ist. Die Motive der Bildzeichen, die Nestler in seiner Erinnerung gelagert hat, gehören zur Welt der Container, des Hafens, des Seetransports. Die Zeichen, die er gesammelt hat, kommen aus dieser Welt. Ihre Vorbilder waren oft Buchstaben und Ziffern, die einmal sachliche Angaben über Größe und Gewicht mitteilten oder Firmensignets, offizielle Warnsignale, handschriftliche Hinzufügungen. Nicht alle Zeichen sind lesbar, sei es, weil sie als Fetzen erscheinen,sei es, weil sie partienweise übermalt sind.
Es gab Zeiten, in denen die Hartfaser- oder Spanplatte, die sein Bildträger war, durch aufgeklebte breite Leisten in Felder gegliedert wurde, als seien es reale Containerflächen. Und im Sommer 1986 fand Nestler in einer stillgelegten Halle im Hafen Formteile, Konstruktionsschablonen, auch „Mallen“.genannt, und Spantenrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden.Daraus machte er Montagen, kühl gegliederte Reliefs, manchmal ohne malerischen Eingriff, wie aus Respekt vor den Spuren der Zeichnungen und Maßangaben der Bootsbauer, in anderen Fällen mit sparsamen Signalen des Pinsels.Beide Wege ist Nestler nicht lange gegangen.Er dürfte davon gelassen haben, um sich die Freiheit seiner Malerei zu bewahren Gewiss fehlen in seinen Bildern nie die Ordnungselemente, seien es Orthogonale, seien es Bildzeichen.Sie ist stets der Gegenpart der Bildzeichen. Sie schafft das Element, in dem die Bildzeichen, die Erinnerungszeichen ihre Wirkung entfalten.Die See ist vielleicht Nestlers Element, gewiss aber ist seine Malerei erfüllt vom Erleben des Wassers.
Helmut R. Leppin
Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle):
Dieter Nestler malt Bilder der Erinnerung an Gesehenes, Wahrgenommenes. Er hat dazu ein schon vor drei Jahrzehnten begonnenes, sich stets weiter vermehrendes Lager aus Bildzeichen entwickelt. Diese Bildzeichen fügt er in seine Malerei ein, die durch eine zügige, energische Pinselhandschrift bestimmt ist. Die Motive der Bildzeichen, die Nestler in seiner Erinnerung gelagert hat, gehören zur Welt der Container, des Hafens, des Seetransports. Die Zeichen, die er gesammelt hat, kommen aus dieser Welt. Ihre Vorbilder waren oft Buchstaben und Ziffern, die einmal sachliche Angaben über Größe und Gewicht mitteilten oder Firmensignets, offizielle Warnsignale, handschriftliche Hinzufügungen. Nicht alle Zeichen sind lesbar, sei es, weil sie als Fetzen erscheinen, sei es, weil sie partienweise übermalt sind.
Es gab Zeiten, in denen die Hartfaser- oder Spanplatte, die sein Bildträger war, durch aufgeklebte breite Leisten in Felder gegliedert wurde, als seien es reale Containerflächen. Und im Sommer 1986 fand Nestler in einer stillgelegten Halle im Hafen Formteile, Konstruktionsschablonen, auch „Mallen“ genannt, und Spantenrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden. Daraus machte er Montagen, kühl gegliederte Reliefs, manchmal ohne malerischen Eingriff, wie aus Respekt vor den Spuren der Zeichnungen und Maßangaben der Bootsbauer, in anderen Fällen mit sparsamen Signalen des Pinsels. Beide Wege ist Nestler nicht lange gegangen. Er dürfte davon gelassen haben, um sich die Freiheit seiner Malerei zu bewahren Gewiss fehlen in seinen Bildern nie die Ordnungselemente, seien es Orthogonale, seien es Bildzeichen. Sie ist stets der Gegenpart der Bildzeichen. Sie schafft das Element, in dem die Bildzeichen, die Erinnerungszeichen ihre Wirkung entfalten. Die See ist vielleicht Nestlers Element, gewiss aber ist seine Malerei erfüllt vom Erleben des Wassers.
Helmut R. Leppin
Wittwulf Malik – Gedanken zu Dieter Nestlers Hafen-Bilderwelt / Sehen und Hören
Wie monumental diese Nestlerschen Hafenbilder sich darstellen, sich vor uns hinstellen. So verweisen sie einerseits auf die Macht, die Übermacht des Materiellen, des Kommerzes in unserem modernen Leben, doch andererseits zeigen sie auch in ihrem stillen Dasein auf den immanenten Zauber, der in allen Dingen liegt, unabhängig davon, wie der Mensch sie für sich nutzt und verwertet.
Wenn ich diese Bilder sehe, beginne ich zu hören: ich höre die Wassergeräusche, das Platschen gegen die Schiffsplanken, gegen die Pontons, ich höre die dunkel-dröhnenden Schiffsmotoren, die Motoren der Kräne, das Quietschen der Eisenbahnwaggons, das Brummen der Container-LKWs, ich höre das Kreischen der über uns kreisenden Möwen, aber ich höre auch die Geräusche das Bauens und Malens, das Geräusch der Holzsägen, das ölige Gleiten des Pinsels, ja, ich rieche sogar die Düfte des Ateliers, die Farben und Terpentinverdünnungen.
Das alles lösen diese Bilder aus. Sie sind entstanden durch eine aufmerksame und sensible Wahrnehmung unserer Welt, der Hamburger Wasser- und Hafenwelt und jetzt tragen sie diese vitale Energie in sich selber, die äußere Welt in sich aufgenommen und verwandelt zu neuem eigenen Leben. Diese Energie ist zum Teil schon gewaltig, chaotisch, ja sogar gewalttätig, sie erzählt von Stürmen, Schiffsuntergängen, Kanonen, Kriegen, Lebenskatastrophen, aber sie ist auch still, geordnet, ordnend, reinigend, ja meditativ.
So treffen hier zwei Welten aufeinander, die der äußeren Realität und die einer inneren Schau und Vision auf das, was in und hinter den Dingen steht, was in und hinter ihnen wirkt.
Wittwulf Malik
Arne Rautenberg – In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
Die schöpferische Positionierung des 1936 in Stettin geborenen Materialkünstlers Dieter Nestler fällt eindeutig zugunsten der Mimikry aus: Seit vielen Jahren der Frachtgutwelt des Hamburger Hafens verfallen, hat Nestler seinen Blick für die ästhetischen Phänomene des im Hafen dominierenden Cargotums geschärft; der Hafen gilt dabei seit jeher als ein mächtiges Symbol: Er ist der Ort, von dem aus man ebenso in die Welt starten, bzw. an dem man mit jedem neu einlaufenden Schiff die Welt wieder vor die Füße gelegt bekommen kann; er ist ein Umschlagplatz für Waren, Wesen, Wissen, für Nahes und Fernes, ein Ort der ungeahnten Möglichkeiten, an dem sich Kreise schließen und der Weltgeist sich unmittelbarer und rascher entfesseln lässt als anderswo. Der Hafen ist eine nautische Daseinsmetapher, wie Hans Blumenberg es formulierte. Dieser magische Ort, mit seinen speziellen Codes und Zeichen, ist der inhaltliche und formale Ausgangspunkt der Arbeiten von Dieter Nestler. Hier sammelt er sein Bildmaterial sowohl im physischen, wie auch ideellen Sinn: die symbolhaften Firmenlabels und Cargo-Signets, die witterungsbedingten Container-Strukturen, Schablonen-Schriftsätze, Graffitis wie das der von Nestler gern eingesetzten „Waggon-Lilly“ (das aufgegriffene Kritzelpiktogramm eines Frauentorsos); zudem nimmt er Fundstücke, etwa Konstruktionsrisse oder hölzerne Bootsbauschablonen als Bezugsgrößen mit in seine Arbeiten, Bilder und Skulpturen, hinein.
Selbst die Grundformen der Bilder sind durchtränkt von Hafenwirklichkeit: Ob rechteckig Containern nachempfunden, rund wie eine Kesselstirn oder sechseckig wie die Seiten riesiger Abfallbehälter – Dieter Nestler bannt in seinen Bildern die Kraft und Sehnsucht, die sich in der Hamburger Hafenwelt manifestiert. Um dem gemeinen Betrachter, dem die mal raue, mal feine Schönheit dieser Welt in der Regel verborgen bleibt, als ein Faszinosum zu offenbaren, hat Nestler sein Label geschaffen: NCA (Nestrans Container Art) – – und in manch einer Möwensilhouette, die leitmotivisch durch Nestlers Bildwelt fliegt, mag man das andere „Ich“ ihres Erzeugers mit ausmachen; denn Möwe und Künstler haben einiges gemeinsam: gelten sie doch als sturmerprobte Segelkünstler, die in langen Gleitflügen über den menschlichen Häuptern schweben und so ihrem eroberten Luftraum angehören.
Die Arbeit von Dieter Nestler steht in einer kunstgeschichtlichen Tradition, die sich an den Collagenumgang von Kurt Schwitters anlehnt; denn bei Schwitters wurde die künstlerische Praxis, Realgegenstände in Kunstwerke zu integrieren, um Ausschnitte der Wirklichkeit in die Kunst zu holen, zum Programm. „Der Abfall der Welt dient mir zur Kunst“ schrieb er. Doch anders als Schwitters, der bewusst willkürlich seinen Abfall auswählte, um diese Willkür als totale Befreiung zu feiern, sucht Nestler seine Fundstücke bewusst aus dem Hafenkontext und will sie in seiner Arbeit auch wieder in diesem Kontext präsentiert sehen.
Seinen künstlerischen Emanzipationsprozess hatte Nestler in den 60er Jahren. Ab 1953 hatte der Amerikaner Robert Rauschenberg mit seinen „Combine Paintings“ wieder an Schwitters angeknüpft, in dem er seine vom Abstrakten Expressionismus herkommende Malerei plötzlich mit Objekten kombinierte, die er als Material des Alltäglichen auswählte, um die Grenze zwischen Malerei und Skulptur einzureißen. Sein Credo „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist“, gilt als ein weiterer Versuch, die Lücke zwischen Kunst und Leben zu schließen – und war der Startschuss für das, was später in der Kunsthistorie als Pop Art und Environment bekannt wurde. Genau an diesem Punkt lässt sich der Hebel ansetzen, der es erlaubt, tiefer in den Geist der Bildwelt Dieter Nestlers einzudringen: Mit Mitteln der Malerei (die zum Teil in Trompe- l´oeil-Manier Oberflächen vortäuscht), der Collage und Assemblage soll es den Betrachtern von Nestlers Bildwelten schwer gemacht werden, Gegenstand und Kunstrealität eindeutig zu trennen. Integrierte Reproduktionstechniken wie Fotografie, Siebdruck und Sprühschablone unterstützen ihrerseits die angestrebte Wiedervereinigung.
Es gilt, eine Brücke zu schlagen, die sich von der Kunstwelt mitten ins Herz der Hafenwelt (und wieder zurück) spannt. Es gilt weiter, die eine Lebenswirklichkeit zu fassen, die sich in all ihren Erscheinungsformen, ob auf dem Werftgelände oder an der Galeriewand, zeigt; und ein Gefühl für die Überlagerung von Kunst und Leben zu erfahren. Der unkritische Impetus der Pop Art (Sieh hin! Und habe Spaß!) findet sich dabei auch in Arbeiten von Dieter Nestler; seine Kunstwerke grüßen vom Randbereich der Konsumgesellschaft, von einem Ort der Zwischenwelt, irgendwo zwischen übler Maloche und dem großen Geld, das sich damit machen lässt.
Allein Nestlers jüngstes Motiv, der Anker, weist auf ein Symbol des Glaubens und – obwohl gelichtet – auf die Möglichkeit des Verweilens, einen Platz der Hoffung, einer Ruhe vor dem nächsten Sturm.
Arne Rautenberg
Arne Rautenberg – In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
Die schöpferische Positionierung des 1936 in Stettin geborenen Materialkünstlers Dieter Nestler fällt eindeutig zugunsten der Mimikry aus: Seit vielen Jahren der Frachtgutwelt des Hamburger Hafens verfallen, hat Nestler seinen Blick für die ästhetischen Phänomene des im Hafen dominierenden Cargotums geschärft; der Hafen gilt dabei seit jeher als ein mächtiges Symbol: Er ist der Ort, von dem aus man ebenso in die Welt starten, bzw. an dem man mit jedem neu einlaufenden Schiff die Welt wieder vor die Füße gelegt bekommen kann; er ist ein Umschlagplatz für Waren, Wesen, Wissen, für Nahes und Fernes, ein Ort der ungeahnten Möglichkeiten, an dem sich Kreise schließen und der Weltgeist sich unmittelbarer und rascher entfesseln lässt als anderswo. Der Hafen ist eine nautische Daseinsmetapher, wie Hans Blumenberg es formulierte. Dieser magische Ort, mit seinen speziellen Codes und Zeichen, ist der inhaltliche und formale Ausgangspunkt der Arbeiten von Dieter Nestler. Hier sammelt er sein Bildmaterial sowohl im physischen, wie auch ideellen Sinn: die symbolhaften Firmenlabels und Cargo-Signets, die witterungsbedingten Container-Strukturen, Schablonen-Schriftsätze, Graffitis wie das der von Nestler gern eingesetzten „Waggon-Lilly“ (das aufgegriffene Kritzelpiktogramm eines Frauentorsos); zudem nimmt er Fundstücke, etwa Konstruktionsrisse oder hölzerne Bootsbauschablonen als Bezugsgrößen mit in seine Arbeiten, Bilder und Skulpturen, hinein.
Selbst die Grundformen der Bilder sind durchtränkt von Hafenwirklichkeit: Ob rechteckig Containern nachempfunden, rund wie eine Kesselstirn oder sechseckig wie die Seiten riesiger Abfallbehälter – Dieter Nestler bannt in seinen Bildern die Kraft und Sehnsucht, die sich in der Hamburger Hafenwelt manifestiert. Um dem gemeinen Betrachter, dem die mal raue, mal feine Schönheit dieser Welt in der Regel verborgen bleibt, als ein Faszinosum zu offenbaren, hat Nestler sein Label geschaffen: NCA (Nestrans Container Art) – und in manch einer Möwensilhouette, die leitmotivisch durch Nestlers Bildwelt fliegt, mag man das andere „Ich“ ihres Erzeugers mit ausmachen; denn Möwe und Künstler haben einiges gemeinsam: gelten sie doch als sturmerprobte Segelkünstler, die in langen Gleitflügen über den menschlichen Häuptern schweben und so ihrem eroberten Luftraum angehören.
Die Arbeit von Dieter Nestler steht in einer kunstgeschichtlichen Tradition, die sich an den Collagenumgang von Kurt Schwitters anlehnt; denn bei Schwitters wurde die künstlerische Praxis, Realgegenstände in Kunstwerke zu integrieren, um Ausschnitte der Wirklichkeit in die Kunst zu holen, zum Programm. „Der Abfall der Welt dient mir zur Kunst“ schrieb er. Doch anders als Schwitters, der bewusst willkürlich seinen Abfall auswählte, um diese Willkür als totale Befreiung zu feiern, sucht Nestler seine Fundstücke bewusst aus dem Hafenkontext und will sie in seiner Arbeit auch wieder in diesem Kontext präsentiert sehen.
Seinen künstlerischen Emanzipationsprozess hatte Nestler in den 60er Jahren. Ab 1953 hatte der Amerikaner Robert Rauschenberg mit seinen „Combine Paintings“ wieder an Schwitters angeknüpft, in dem er seine vom Abstrakten Expressionismus herkommende Malerei plötzlich mit Objekten kombinierte, die er als Material des Alltäglichen auswählte, um die Grenze zwischen Malerei und Skulptur einzureißen. Sein Credo „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist“, gilt als ein weiterer Versuch, die Lücke zwischen Kunst und Leben zu schließen – und war der Startschuss für das, was später in der Kunsthistorie als Pop Art und Environment bekannt wurde. Genau an diesem Punkt lässt sich der Hebel ansetzen, der es erlaubt, tiefer in den Geist der Bildwelt Dieter Nestlers einzudringen: Mit Mitteln der Malerei (die zum Teil in Trompe- l´oeil-Manier Oberflächen vortäuscht), der Collage und Assemblage soll es den Betrachtern von Nestlers Bildwelten schwer gemacht werden, Gegenstand und Kunstrealität eindeutig zu trennen. Integrierte Reproduktionstechniken wie Fotografie, Siebdruck und Sprühschablone unterstützen ihrerseits die angestrebte Wiedervereinigung.
Es gilt, eine Brücke zu schlagen, die sich von der Kunstwelt mitten ins Herz der Hafenwelt (und wieder zurück) spannt. Es gilt weiter, die eine Lebenswirklichkeit zu fassen, die sich in all ihren Erscheinungsformen, ob auf dem Werftgelände oder an der Galeriewand, zeigt; und ein Gefühl für die Überlagerung von Kunst und Leben zu erfahren. Der unkritische Impetus der Pop Art (Sieh hin! Und habe Spaß!) findet sich dabei auch in Arbeiten von Dieter Nestler; seine Kunstwerke grüßen vom Randbereich der Konsumgesellschaft, von einem Ort der Zwischenwelt, irgendwo zwischen übler Maloche und dem großen Geld, das sich damit machen lässt.
Allein Nestlers jüngstes Motiv, der Anker, weist auf ein Symbol des Glaubens und – obwohl gelichtet – auf die Möglichkeit des Verweilens, einen Platz der Hoffung, einer Ruhe vor dem nächsten Sturm.
Arne Rautenberg
Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
In ihrer letzten Ausgabe vom 28.12.2006 titelt DIE ZEIT : Wo bleibt die Zeit. Jedes Jahr scheint schneller zu verstreichen. Und der Zeitdruck ist so hoch wie noch nie. Wie es gelingen kann, die Langsamkeit neu zu entdecken.
Tatsächlich werden in unserer schnelllebigen, von der Rasanz technisch-ökonomischer Abläufe geprägten Zeit- time is money- die individuellen und sozialen, physischen und psychischen Folgen solcher Beschleunigungs-prozesse zunehmend besorgt erkannt und als belastend erfahren.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln sich schon seit langem mit einer solchen Thematik auseinandersetzen. Beispielhaft sei der aus heutiger Sicht eher naiv anmutende Fortschrittsglaube und die optimistische Glorifizierung von Geschwindigkeit durch die Futuristen erwähnt.
Demgegenüber lassen die Uhrobjekte von Dieter Nestler eher ein bedächtig –melancholisches, auch ironisches Verhältnis zur Problematik individueller und objektiver Zeit erkennen. Wie Fetische einer Kultur aus ferner Zeit treten uns die Objekte entgegen, bereit, ihre magische Kraft gegenüber einem entfesselten Zeit- Geist zu entfalten. Blickpunkt aller Raumobjekte und reliefartigen Wandobjekte sind eingebaute Uhren, rund, mit und ohne Zifferblatt. Diese Uhren funktionieren, wie man es von ihnen erwartet: sie zeigen die Zeit an, objektiv und zuverlässig, exakt auf die Stunde, Minute und Sekunde.
Aber das ist natürlich nicht alles, dazu bedürfte es keiner aufwendigen, zeitraubenden Gestaltung durch den Künstler. Dekoration ist nicht Dieter Nestlers Sache. Seinen Uhr-Sachen geht es um mehr. Werfen wir dazu einen Blick auf die Gestaltung der Objekte.
Die stelenartigen Raumobjekte wirken in ihrer äußeren Gestalt zunächst statuarisch und unbeweglich. In der Betonung der Vertikalen und ausgewogenen Statik der miteinander verbundenen Einzelteile wird eine klare konstruktive Struktur sichtbar. Diese gibt den Objekten, durch einen flachen Sockel unterstützt, Stand und Festigkeit, ja Stillstand, wären da nicht die im Sekundentakt nervös tickenden Zeigerlinien und das überaus bewegte Innenleben der Objekte.
Ganz im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und formalen Gliederung werden im Inneren der Objekte Malprozesse sichtbar, also subjektive Zeitabläufe: tachistisch verlaufene und geronnene Spuren der Malaktion und kurze stürmische Pinselstriche drängen an die Grenzen ihrer Binnenform, Farbflächen brechen abrupt ab, bleiben fragmentarisch, Übergänge deuten sich an, Übermalungen und Untermalungen sind erkennbar, lasierender und deckender Farbauftrag – Dieter Nestler beherrscht das Instrumentarium seiner malerischer Mittel.
Hinzu kommt die Einbeziehung heterogener, häufig vorgefundener Materialien, deren Gebrauchsspuren und –formen willkommen sind. Etwa ein im Hafen gefundener Farbrührstab oder Holzschablonen von einer alten Bootswerft aus vergangener Zeit unterhalb der Köhlbrandbrücke, auch vereinzelte Fotos längst entsorgter Hafenkräne finden ihren Platz.
Allen diesen Fundstücken gemeinsam ist, dass sie, ihrer ursprünglichen Funktion ledig, scheinbar nutzlos sind. Erst ihre Verwendung im Objekt rückt sie erneut in unser Blickfeld, Spuren ihrer Gebrauchsgeschichte werden ablesbar, gespeicherte Gebrauchszeit erfahrbar.
Indem Dieter Nestler diese Materialien, Farben und Malweisen im Objekt zu einem Ganzen fügt, thematisiert er gleichzeitig objektive und subjektive Zeitvorgänge, Dynamik und Statik. Die Einbindung des Alltagsgegenstandes, die Uhr, in das ästhetische Objekt erweitert so dessen Gebrauchswert, sie macht Sinn.
Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die Fragen im eingangs zitierten Titel der Wochenzeitung zurückzukommen. Am Beispiel der angesprochenen Objekte wird deutlich, wie die Antwort des Künstlers aussieht. In der Gestaltung seines Werkes, im kreativen Umgang mit der eigenen Lebens-Zeit verbinden sich sorgfältig- langwierige Konstruktion und spontan-dynamische Aktion: nicht die vermeintliche Neuentdeckung der Langsamkeit ist daher allein von Bedeutung, sondern das sinnstiftende Wechselspiel dynamischer und statischer Lebensprozesse, der gestaltete Wechsel von Vorgängen der Beschleunigung und Entschleunigung, der Spannung und Entspannung. In diesem Sinne sind die Uhrsachen von Dieter Nestler Monumente einer umfassenden Zeitlichkeit menschlicher Existenz.
Hannover, im Januar 2007
Jürgen Schneyder
Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
In ihrer letzten Ausgabe vom 28.12.2006 titelt DIE ZEIT : Wo bleibt die Zeit. Jedes Jahr scheint schneller zu verstreichen. Und der Zeitdruck ist so hoch wie noch nie. Wie es gelingen kann, die Langsamkeit neu zu entdecken.
Tatsächlich werden in unserer schnelllebigen, von der Rasanz technisch-ökonomischer Abläufe geprägten Zeit- time is money- die individuellen und sozialen, physischen und psychischen Folgen solcher Beschleunigungs-prozesse zunehmend besorgt erkannt und als belastend erfahren.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln sich schon seit langem mit einer solchen Thematik auseinandersetzen. Beispielhaft sei der aus heutiger Sicht eher naiv anmutende Fortschrittsglaube und die optimistische Glorifizierung von Geschwindigkeit durch die Futuristen erwähnt.
Demgegenüber lassen die Uhrobjekte von Dieter Nestler eher ein bedächtig –melancholisches, auch ironisches Verhältnis zur Problematik individueller und objektiver Zeit erkennen. Wie Fetische einer Kultur aus ferner Zeit treten uns die Objekte entgegen, bereit, ihre magische Kraft gegenüber einem entfesselten Zeit- Geist zu entfalten. Blickpunkt aller Raumobjekte und reliefartigen Wandobjekte sind eingebaute Uhren, rund, mit und ohne Zifferblatt. Diese Uhren funktionieren, wie man es von ihnen erwartet: sie zeigen die Zeit an, objektiv und zuverlässig, exakt auf die Stunde, Minute und Sekunde.
Aber das ist natürlich nicht alles, dazu bedürfte es keiner aufwendigen, zeitraubenden Gestaltung durch den Künstler. Dekoration ist nicht Dieter Nestlers Sache. Seinen Uhr-Sachen geht es um mehr. Werfen wir dazu einen Blick auf die Gestaltung der Objekte.
Die stelenartigen Raumobjekte wirken in ihrer äußeren Gestalt zunächst statuarisch und unbeweglich. In der Betonung der Vertikalen und ausgewogenen Statik der miteinander verbundenen Einzelteile wird eine klare konstruktive Struktur sichtbar. Diese gibt den Objekten, durch einen flachen Sockel unterstützt, Stand und Festigkeit, ja Stillstand, wären da nicht die im Sekundentakt nervös tickenden Zeigerlinien und das überaus bewegte Innenleben der Objekte.
Ganz im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und formalen Gliederung werden im Inneren der Objekte Malprozesse sichtbar, also subjektive Zeitabläufe: tachistisch verlaufene und geronnene Spuren der Malaktion und kurze stürmische Pinselstriche drängen an die Grenzen ihrer Binnenform, Farbflächen brechen abrupt ab, bleiben fragmentarisch, Übergänge deuten sich an, Übermalungen und Untermalungen sind erkennbar, lasierender und deckender Farbauftrag – Dieter Nestler beherrscht das Instrumentarium seiner malerischer Mittel.
Hinzu kommt die Einbeziehung heterogener, häufig vorgefundener Materialien, deren Gebrauchsspuren und –formen willkommen sind. Etwa ein im Hafen gefundener Farbrührstab oder Holzschablonen von einer alten Bootswerft aus vergangener Zeit unterhalb der Köhlbrandbrücke, auch vereinzelte Fotos längst entsorgter Hafenkräne finden ihren Platz.
Allen diesen Fundstücken gemeinsam ist, dass sie, ihrer ursprünglichen Funktion ledig, scheinbar nutzlos sind. Erst ihre Verwendung im Objekt rückt sie erneut in unser Blickfeld, Spuren ihrer Gebrauchsgeschichte werden ablesbar, gespeicherte Gebrauchszeit erfahrbar.
Indem Dieter Nestler diese Materialien, Farben und Malweisen im Objekt zu einem Ganzen fügt, thematisiert er gleichzeitig objektive und subjektive Zeitvorgänge, Dynamik und Statik. Die Einbindung des Alltagsgegenstandes, die Uhr, in das ästhetische Objekt erweitert so dessen Gebrauchswert, sie macht Sinn.
Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die Fragen im eingangs zitierten Titel der Wochenzeitung zurückzukommen. Am Beispiel der angesprochenen Objekte wird deutlich, wie die Antwort des Künstlers aussieht. In der Gestaltung seines Werkes, im kreativen Umgang mit der eigenen Lebens-Zeit verbinden sich sorgfältig- langwierige Konstruktion und spontan-dynamische Aktion: nicht die vermeintliche Neuentdeckung der Langsamkeit ist daher allein von Bedeutung, sondern das sinnstiftende Wechselspiel dynamischer und statischer Lebensprozesse, der gestaltete Wechsel von Vorgängen der Beschleunigung und Entschleunigung, der Spannung und Entspannung. In diesem Sinne sind die Uhrsachen von Dieter Nestler Monumente einer umfassenden Zeitlichkeit menschlicher Existenz.
Hannover, im Januar 2007
Jürgen Schneyder
Dieter Nestler – Wasserspiegelungen
Angesichts der vielfältigen Präsenz von Wasser in meiner Umgebung lag es nahe, dass sich im Laufe der Zeit mein gestalterisches Interesse den verschiedenartigen Erscheinungsformen dieses Elements zugewendet hat.
Mich faszinierte das unstete Wechselspiel der Spiegelbilder von Häusern, Fenstern, Segeln und Schiffen, denen ich kompositorische Eigenständigkeit und Dichte zu geben versuchte. Gleichzeitig wollte ich die Jalousie-Lamellen in Spiegelformen übergehen lassen, um den selbst inszenierten Käfig aufzulösen und ihn zu verlassen.
Es gibt eine Reihe von Siebdruckentwürfen (von denen nur wenige realisiert wurden), wo die Lamellen in Spiegelformen übergehen, wie ich sie im Wasser beobachtet hatte. Es entstanden „Wasserspiegelungen“.
Friedensreich Hundertwasser war einer meiner Lehrer an der Hochschule gewesen. Er hätte sich möglicherweise über die Annäherung im Geiste eines seiner ehemaligen Schüler gefreut. Die fließende Linie war ja sein gestalterisches Credo. Ich wollte aber nicht, dass sich die Linien in dekorativen Schnörkeln verlieren. Die Strukturierung sollte erhalten bleiben.
Unter einem von den Studenten errichteten Baldachin auf einem Tisch sitzend, zelebrierte Hundertwasser seine Philosophie des „Spiraloid aus dem Geiste der Wüste“. Sie mündete in ein Happening, wohl das erste überhaupt, welches der Meister und sein Adlatus Bazon Brock gemeinsam mit den abwechselnd beteiligten Kunststudenten veranstalteten: das Ziehen einer ununterbrochenen Linie, die im Klassenraum begann und sich letztlich bis ins Universum fortsetzen sollte. Dazu kam es allerdings nicht, denn die Provokation, die darin bestand, den traditionellen Kunstbegriff infrage zu stellen, wurde von der Hochschulleitung mit Abbruch und Rausschmiss geahndet. Ich empfand die Entscheidung und auch die Reaktion des größten Teils der Dozenten und Studenten als engstirnig und dumm. Man hatte ihnen die Show gestohlen! Die Idee, aus einer meditativen Atmosphäre heraus eine gemeinschaftliche Arbeit zu entwickeln, deren Ende offen blieb, aber die Fantasie ins Grenzenlose beflügelte, war damals für uns alle etwas ganz Neues und durchaus Beflügelndes.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Wasserspiegelungen
Angesichts der vielfältigen Präsenz von Wasser in meiner Umgebung lag es nahe, dass sich im Laufe der Zeit mein gestalterisches Interesse den verschiedenartigen Erscheinungsformen dieses Elements zugewendet hat.
Mich faszinierte das unstete Wechselspiel der Spiegelbilder von Häusern, Fenstern, Segeln und Schiffen, denen ich kompositorische Eigenständigkeit und Dichte zu geben versuchte. Gleichzeitig wollte ich die Jalousie-Lamellen in Spiegelformen übergehen lassen, um den selbst inszenierten Käfig aufzulösen und ihn zu verlassen.
Es gibt eine Reihe von Siebdruckentwürfen (von denen nur wenige realisiert wurden), wo die Lamellen in Spiegelformen übergehen, wie ich sie im Wasser beobachtet hatte. Es entstanden „Wasserspiegelungen“.
Friedensreich Hundertwasser war einer meiner Lehrer an der Hochschule gewesen. Er hätte sich möglicherweise über die Annäherung im Geiste eines seiner ehemaligen Schüler gefreut. Die fließende Linie war ja sein gestalterisches Credo. Ich wollte aber nicht, dass sich die Linien in dekorativen Schnörkeln verlieren. Die Strukturierung sollte erhalten bleiben.
Unter einem von den Studenten errichteten Baldachin auf einem Tisch sitzend, zelebrierte Hundertwasser seine Philosophie des „Spiraloid aus dem Geiste der Wüste“. Sie mündete in ein Happening, wohl das erste überhaupt, welches der Meister und sein Adlatus Bazon Brock gemeinsam mit den abwechselnd beteiligten Kunststudenten veranstalteten: das Ziehen einer ununterbrochenen Linie, die im Klassenraum begann und sich letztlich bis ins Universum fortsetzen sollte. Dazu kam es allerdings nicht, denn die Provokation, die darin bestand, den traditionellen Kunstbegriff infrage zu stellen, wurde von der Hochschulleitung mit Abbruch und Rausschmiss geahndet. Ich empfand die Entscheidung und auch die Reaktion des größten Teils der Dozenten und Studenten als engstirnig und dumm. Man hatte ihnen die Show gestohlen! Die Idee, aus einer meditativen Atmosphäre heraus eine gemeinschaftliche Arbeit zu entwickeln, deren Ende offen blieb, aber die Fantasie ins Grenzenlose beflügelte, war damals für uns alle etwas ganz Neues und durchaus Beflügelndes.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Jalousiebilder
Horizontale Rasterfelder gewährten mit kühl kalkulierten Farbverläufen, die die Bildfläche wie optische Gitter schlossen und öffneten, Durchblicke in scheinbare Landschaften. Diese sogenannten Jalousie-Bilder meldeten als Scheinfenster einen architektonischen Anspruch an. Ich entdeckte für mich die Möglichkeit, Landschaften mithilfe des Jalousie-Prinzips in ein transparentes System zu überführen und zu gliedern. Das entsprach meinem Bedürfnis nach Weite einerseits und rhythmisch kontrapunktischer Störung andererseits. So entstanden Landschaftsbilder mit stakkatohaften Abläufen, in denen ich versuchte, eine architektonische, raumbezogene Wirkung zu erzielen. Bilder als Scheinfenster, die einen realen Fensterausschnitt flankierten, der z..B. den Blick auf einen Kastanienbaum einrahmte.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Jalousiebilder
Horizontale Rasterfelder gewährten mit kühl kalkulierten Farbverläufen, die die Bildfläche wie optische Gitter schlossen und öffneten, Durchblicke in scheinbare Landschaften. Diese sogenannten Jalousie-Bilder meldeten als Scheinfenster einen architektonischen Anspruch an. Ich entdeckte für mich die Möglichkeit, Landschaften mithilfe des Jalousie-Prinzips in ein transparentes System zu überführen und zu gliedern. Das entsprach meinem Bedürfnis nach Weite einerseits und rhythmisch kontrapunktischer Störung andererseits. So entstanden Landschaftsbilder mit stakkatohaften Abläufen, in denen ich versuchte, eine architektonische, raumbezogene Wirkung zu erzielen. Bilder als Scheinfenster, die einen realen Fensterausschnitt flankierten, der z..B. den Blick auf einen Kastanienbaum einrahmte.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Container-Bilder
Irgendwann tauchten Container auf meiner Route auf. Es gab kein Entrinnen vor diesen schwerfällig dahinrollenden Bildwänden auf der Container-Route. So musste ich mich dieser neuen Handelsgrammatik zuwenden und lernte bald ehrfürchtig Abstand zu halten vor „Poison“, „Explosive Liquid“ und „Dangerous Goods“. Ich verfolgte den Weg zum Terminal, wo sie sich haushoch stapelten, Fluchten und Schluchten bildeten. Mein Interesse galt nie dem nutzlastigen Inhalt, sondern der Zeichensprache, die diese metallenen oder mehrfachsperrholzverleimten Kisten aussenden, dieser vielfältigen und vielschichtigen Beredsamkeit des internationalen Cargo-Gigantismus. Eine ausdrucksvolle realistische Sprache, eindeutig für den Kundigen, der tagtäglich Umgang mit ihr pflegt. Ein Ordnungssystem, gebunden an Güter, Chiffren und Strukturraster.
Zunächst übernahm ich die Struktur dieser metallenen Kisten. Erst als senkrechte Gliederungsmöglichkeit der Bildfläche, später in allen möglichen Strukturvarianten. Es entstanden komplizierte Bildkonzeptionen, die u.a. zu Kompositionen auf mehreren Bildebenen führten. Der Verzicht auf die illusionistischen Strukturraster, die dem Gliederungsprinzip des Containers entlehnt waren, eröffnete größeren gestalterischen Spielraum für materialbetontes Arbeiten.
Und in dem Maße, wie meine Arbeiten wieder das Material zuließen, sich vom Abbildhaften entfernten, Fundstücke aufnahmen und Objekt-Charakter bekamen, dokumentierte ich die Quellen meiner Inspiration fotografisch. So entstand ein Depot von Fotos aus dem Bereich des Hamburger Hafens: Schiffe, Brücken, Kräne, Gerät als Inventar eines gigantischen Skulpturenparks. In späteren Arbeiten konnte ich auf diesen Fundus als Collagematerial zurückgreifen. Wenn ich ein Emblem oder ein Wort übernehme, interessiert mich weniger die zweckgerichtete Bedeutung als vielmehr die Möglichkeit, zwischen diesen Zeichen und anderen Bildelementen neue, überraschende Beziehungen zu finden.
Abmalen habe ich allerdings nie im Sinn, auch wenn hier und da mal ein kleines Trompe-l´oeil unterläuft. Ich bewege mich frei und mutwillig in diesem unerschöpflichen Pandämonium der Cargo-Sprache. Ich beute sie aus als Lieferant von Bildideen, kopiere Firmenzeichen und Gefahren-Labels, reiße sie auseinander, füge Unterschiedliches zusammen, überlagere Teile, lasierend, deckend, collagierend, verdrehe sie, stelle sie auf den Kopf, ändere ihre Farbe, verliebe mich in Scheuer- oder Kleckerspuren, Rostflecken, Reparaturflicken oder die Jungfrau Veritas, Schutzpatronin der Transportversicherer.
Auch transferiere ich handschriftliche Vermerke, Fragmente von Bestimmungshinweisen, die oft skurrile dadaistische Zufallswortspiele hervorrufen. Nicht alle Zeichen sind bereits in Umlauf. Manchmal erfinde ich neue und entlasse sie, meinem gestalterischen Expansionstrieb folgend, in einen fiktiven Handelskreislauf: Containerlandschaften – Landschaftscontainer
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Container-Bilder
Irgendwann tauchten Container auf meiner Route auf. Es gab kein Entrinnen vor diesen schwerfällig dahinrollenden Bildwänden auf der Container-Route. So musste ich mich dieser neuen Handelsgrammatik zuwenden und lernte bald ehrfürchtig Abstand zu halten vor „Poison“, „Explosive Liquid“ und „Dangerous Goods“. Ich verfolgte den Weg zum Terminal, wo sie sich haushoch stapelten, Fluchten und Schluchten bildeten. Mein Interesse galt nie dem nutzlastigen Inhalt, sondern der Zeichensprache, die diese metallenen oder mehrfachsperrholzverleimten Kisten aussenden, dieser vielfältigen und vielschichtigen Beredsamkeit des internationalen Cargo-Gigantismus. Eine ausdrucksvolle realistische Sprache, eindeutig für den Kundigen, der tagtäglich Umgang mit ihr pflegt. Ein Ordnungssystem, gebunden an Güter, Chiffren und Strukturraster.
Zunächst übernahm ich die Struktur dieser metallenen Kisten. Erst als senkrechte Gliederungsmöglichkeit der Bildfläche, später in allen möglichen Strukturvarianten. Es entstanden komplizierte Bildkonzeptionen, die u.a. zu Kompositionen auf mehreren Bildebenen führten. Der Verzicht auf die illusionistischen Strukturraster, die dem Gliederungsprinzip des Containers entlehnt waren, eröffnete größeren gestalterischen Spielraum für materialbetontes Arbeiten.
Und in dem Maße, wie meine Arbeiten wieder das Material zuließen, sich vom Abbildhaften entfernten, Fundstücke aufnahmen und Objekt-Charakter bekamen, dokumentierte ich die Quellen meiner Inspiration fotografisch. So entstand ein Depot von Fotos aus dem Bereich des Hamburger Hafens: Schiffe, Brücken, Kräne, Gerät als Inventar eines gigantischen Skulpturenparks. In späteren Arbeiten konnte ich auf diesen Fundus als Collagematerial zurückgreifen. Wenn ich ein Emblem oder ein Wort übernehme, interessiert mich weniger die zweckgerichtete Bedeutung als vielmehr die Möglichkeit, zwischen diesen Zeichen und anderen Bildelementen neue, überraschende Beziehungen zu finden.
Abmalen habe ich allerdings nie im Sinn, auch wenn hier und da mal ein kleines Trompe-l´oeil unterläuft. Ich bewege mich frei und mutwillig in diesem unerschöpflichen Pandämonium der Cargo-Sprache. Ich beute sie aus als Lieferant von Bildideen, kopiere Firmenzeichen und Gefahren-Labels, reiße sie auseinander, füge Unterschiedliches zusammen, überlagere Teile, lasierend, deckend, collagierend, verdrehe sie, stelle sie auf den Kopf, ändere ihre Farbe, verliebe mich in Scheuer- oder Kleckerspuren, Rostflecken, Reparaturflicken oder die Jungfrau Veritas, Schutzpatronin der Transportversicherer.
Auch transferiere ich handschriftliche Vermerke, Fragmente von Bestimmungshinweisen, die oft skurrile dadaistische Zufallswortspiele hervorrufen. Nicht alle Zeichen sind bereits in Umlauf. Manchmal erfinde ich neue und entlasse sie, meinem gestalterischen Expansionstrieb folgend, in einen fiktiven Handelskreislauf: Containerlandschaften – Landschaftscontainer
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftblöcke
Ich nenne meine Skulpturen „Werftblöcke“. Der Titel mag zunächst überraschen angesichts von Objekten, die eher wie Teile einer Innenausstattung, nicht wie ruppiges Arbeitsgerät wirken.
Der Hafen ist in meiner künstlerischen Arbeit das entscheidende Bezugsfeld. Die reiche Formenwelt im Schiffbau und im Warenverkehr per Schiff oder Bahn fasziniert mich seit Jahrzehnten und regt mich zu Bildfindungen an. So beziehen sich meine „Werftblöcke“ auf Arbeitsgeräte für den Schiffbau. Die sogenannten „Kielpallen“ sind ursprünglich pyramidenförmige Metallblöcke auf quadratischem Grundriss, die man auf einer Werft zu beiden Seiten des Kiels eines zu reparierenden Schiffes schiebt, um diesem Halt zu geben.
Die originalen Kielpallen bestehen aus Eisen oder Stahl. Sie haben durch Farb- und Arbeitsspuren eine eigene Ästhetik, großzügig und originell, wie eben der absichtslose Zufall Dinge gestaltet. Ich übernahm die Grundform als Konzept für meine Kunstobjekte. Sie wurden zu Bildträgern für Farbabläufe, Collageelemente und Schriftzeichen.
Die Kielpallen haben normalerweise Öffnungen, in die Kranhaken zum Transport einklinken. Diese Öffnungen griff ich auf als Anregungen für die kleinen „Fenster“ in meinen Werftblöcken. Eingelassen in diese sind Fotos aus meinem umfangreichen fotografischen Œuvre zum Thema Hafen.
So steht fotografisch-illusionistische Wirklichkeit in Spannung zu handfester Dreidimensionalität.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftstücke
Im Sommer 1986 fand ich zwischen Köhlbrand und Tollerort ein Gelände, auf dem gebrauchte Container gelagert und repariert wurden. Dort entdeckte ich eine alte stillgelegte Halle, ehemals Teil einer kleinen Werft, in der früher Boote gebaut wurden, die aber jetzt nur noch als Lagerraum diente. Sie befand sich am Ende des Kohlenschiffhafens.
Im Kehricht der von Maschinen und Werkzeugen längst geräumten Halle und in den dunklen Rumpelecken fand ich Formteile, Konstruktionsschablonen, auch Mallen genannt, und Spantrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden – teils intakt, teils als Bruchstücke, welche bereits für den Müll bestimmt waren.
Ich barg das Material aus Staub, Schutt und Schimmel, säuberte die Teile, flickte Auseinandergebrochenes wieder zusammen, ergänzte fehlende Elemente. Hinweise, Informationen, Markierungen wurden lesbar, eine Sprache aus Linien, Kürzeln, Zahlen und Worten wie Dollbord, Duchten, Sponung… Begriffe, die nur dem Eingeweihten verständlich sind.
Da ich nie einem vorgegebenen Plan folge, gebe ich dem Zufall Raum und lasse mich gern von seinen Mutwilligkeiten überraschen.
Es gibt eine Reihe von Objekten, in denen ich besonders behutsam mit dem gefundenen Material umgegangen bin. Dabei handelt es sich vorwiegend um Konstruktionsanweisungen für den Bootsbau, die ich aus dem Nachlassmüll der Werft geborgen hatte. Um die „Sprache“ der Anweisungen nicht zu stören, das lebendige Spiel von Linien, Zahlen und Beschriftungen in ihrer eigenwilligen Ästhetik zu erhalten, präsentiere ich sie mit nur geringfügigen Eingriffen so, dass sie als eine Art Spurensicherung von Arbeit im Hafenbereich angesehen werden können. Diese Spuren aus der Arbeitswelt des traditionellen Bootsbaus wären ohne meinen Zugriff verwischt. Hätte mich nicht mein Interesse, neue Aspekte für mein langjähriges künstlerisches Arbeitsprogramm NESTRANS CONTAINER ART zu erschließen, an diesen Ort geführt, so gäbe es keine handfesten Zeugnisse mehr von dieser häufig im Sturm gefluteten und nun untergegangenen Welt.
Ich war Jörgen Bracker, der damalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, dankbar, dass er mir die Möglichkeit gab, meine Bilder und Objekte in seinem Museum zu zeigen, und zwar im Innenraum wie auch im neu überkuppelten und damit vor Regen geschützten Innenhof.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftstücke
Im Sommer 1986 fand ich zwischen Köhlbrand und Tollerort ein Gelände, auf dem gebrauchte Container gelagert und repariert wurden. Dort entdeckte ich eine alte stillgelegte Halle, ehemals Teil einer kleinen Werft, in der früher Boote gebaut wurden, die aber jetzt nur noch als Lagerraum diente. Sie befand sich am Ende des Kohlenschiffhafens.
Im Kehricht der von Maschinen und Werkzeugen längst geräumten Halle und in den dunklen Rumpelecken fand ich Formteile, Konstruktionsschablonen, auch Mallen genannt, und Spantrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden – teils intakt, teils als Bruchstücke, welche bereits für den Müll bestimmt waren.
Ich barg das Material aus Staub, Schutt und Schimmel, säuberte die Teile, flickte Auseinandergebrochenes wieder zusammen, ergänzte fehlende Elemente. Hinweise, Informationen, Markierungen wurden lesbar, eine Sprache aus Linien, Kürzeln, Zahlen und Worten wie Dollbord, Duchten, Sponung… Begriffe, die nur dem Eingeweihten verständlich sind.
Da ich nie einem vorgegebenen Plan folge, gebe ich dem Zufall Raum und lasse mich gern von seinen Mutwilligkeiten überraschen.
Es gibt eine Reihe von Objekten, in denen ich besonders behutsam mit dem gefundenen Material umgegangen bin. Dabei handelt es sich vorwiegend um Konstruktionsanweisungen für den Bootsbau, die ich aus dem Nachlassmüll der Werft geborgen hatte. Um die „Sprache“ der Anweisungen nicht zu stören, das lebendige Spiel von Linien, Zahlen und Beschriftungen in ihrer eigenwilligen Ästhetik zu erhalten, präsentiere ich sie mit nur geringfügigen Eingriffen so, dass sie als eine Art Spurensicherung von Arbeit im Hafenbereich angesehen werden können. Diese Spuren aus der Arbeitswelt des traditionellen Bootsbaus wären ohne meinen Zugriff verwischt. Hätte mich nicht mein Interesse, neue Aspekte für mein langjähriges künstlerisches Arbeitsprogramm NESTRANS CONTAINER ART zu erschließen, an diesen Ort geführt, so gäbe es keine handfesten Zeugnisse mehr von dieser häufig im Sturm gefluteten und nun untergegangenen Welt.
Ich war Jörgen Bracker, der damalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, dankbar, dass er mir die Möglichkeit gab, meine Bilder und Objekte in seinem Museum zu zeigen, und zwar im Innenraum wie auch im neu überkuppelten und damit vor Regen geschützten Innenhof.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG
Texte
Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle):
Dieter Nestler malt Bilder der Erinnerung an Gesehenes, Wahrgenommenes.Er hat dazu ein schon vor drei Jahrzehnten begonnenes,sich stets weiter vermehrendes Lager aus Bildzeichen entwickelt.Diese Bildzeichen fügt er in seine Malerei ein, die durch eine zügige, energische Pinselhandschrift bestimmt ist. Die Motive der Bildzeichen, die Nestler in seiner Erinnerung gelagert hat, gehören zur Welt der Container, des Hafens, des Seetransports. Die Zeichen, die er gesammelt hat, kommen aus dieser Welt. Ihre Vorbilder waren oft Buchstaben und Ziffern, die einmal sachliche Angaben über Größe und Gewicht mitteilten oder Firmensignets, offizielle Warnsignale, handschriftliche Hinzufügungen. Nicht alle Zeichen sind lesbar, sei es, weil sie als Fetzen erscheinen,sei es, weil sie partienweise übermalt sind.
Es gab Zeiten, in denen die Hartfaser- oder Spanplatte, die sein Bildträger war, durch aufgeklebte breite Leisten in Felder gegliedert wurde, als seien es reale Containerflächen. Und im Sommer 1986 fand Nestler in einer stillgelegten Halle im Hafen Formteile, Konstruktionsschablonen, auch „Mallen“.genannt, und Spantenrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden.Daraus machte er Montagen, kühl gegliederte Reliefs, manchmal ohne malerischen Eingriff, wie aus Respekt vor den Spuren der Zeichnungen und Maßangaben der Bootsbauer, in anderen Fällen mit sparsamen Signalen des Pinsels.Beide Wege ist Nestler nicht lange gegangen.Er dürfte davon gelassen haben, um sich die Freiheit seiner Malerei zu bewahren Gewiss fehlen in seinen Bildern nie die Ordnungselemente, seien es Orthogonale, seien es Bildzeichen.Sie ist stets der Gegenpart der Bildzeichen. Sie schafft das Element, in dem die Bildzeichen, die Erinnerungszeichen ihre Wirkung entfalten.Die See ist vielleicht Nestlers Element, gewiss aber ist seine Malerei erfüllt vom Erleben des Wassers.
Helmut R. Leppin
Helmut R Leppien (Hamburger Kunsthalle):
Dieter Nestler malt Bilder der Erinnerung an Gesehenes, Wahrgenommenes. Er hat dazu ein schon vor drei Jahrzehnten begonnenes, sich stets weiter vermehrendes Lager aus Bildzeichen entwickelt. Diese Bildzeichen fügt er in seine Malerei ein, die durch eine zügige, energische Pinselhandschrift bestimmt ist. Die Motive der Bildzeichen, die Nestler in seiner Erinnerung gelagert hat, gehören zur Welt der Container, des Hafens, des Seetransports. Die Zeichen, die er gesammelt hat, kommen aus dieser Welt. Ihre Vorbilder waren oft Buchstaben und Ziffern, die einmal sachliche Angaben über Größe und Gewicht mitteilten oder Firmensignets, offizielle Warnsignale, handschriftliche Hinzufügungen. Nicht alle Zeichen sind lesbar, sei es, weil sie als Fetzen erscheinen, sei es, weil sie partienweise übermalt sind.
Es gab Zeiten, in denen die Hartfaser- oder Spanplatte, die sein Bildträger war, durch aufgeklebte breite Leisten in Felder gegliedert wurde, als seien es reale Containerflächen. Und im Sommer 1986 fand Nestler in einer stillgelegten Halle im Hafen Formteile, Konstruktionsschablonen, auch „Mallen“ genannt, und Spantenrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden. Daraus machte er Montagen, kühl gegliederte Reliefs, manchmal ohne malerischen Eingriff, wie aus Respekt vor den Spuren der Zeichnungen und Maßangaben der Bootsbauer, in anderen Fällen mit sparsamen Signalen des Pinsels. Beide Wege ist Nestler nicht lange gegangen. Er dürfte davon gelassen haben, um sich die Freiheit seiner Malerei zu bewahren Gewiss fehlen in seinen Bildern nie die Ordnungselemente, seien es Orthogonale, seien es Bildzeichen. Sie ist stets der Gegenpart der Bildzeichen. Sie schafft das Element, in dem die Bildzeichen, die Erinnerungszeichen ihre Wirkung entfalten. Die See ist vielleicht Nestlers Element, gewiss aber ist seine Malerei erfüllt vom Erleben des Wassers.
Helmut R. Leppin
Wittwulf Malik – Gedanken zu Dieter Nestlers Hafen-Bilderwelt / Sehen und Hören
Wie monumental diese Nestlerschen Hafenbilder sich darstellen, sich vor uns hinstellen. So verweisen sie einerseits auf die Macht, die Übermacht des Materiellen, des Kommerzes in unserem modernen Leben, doch andererseits zeigen sie auch in ihrem stillen Dasein auf den immanenten Zauber, der in allen Dingen liegt, unabhängig davon, wie der Mensch sie für sich nutzt und verwertet.
Wenn ich diese Bilder sehe, beginne ich zu hören: ich höre die Wassergeräusche, das Platschen gegen die Schiffsplanken, gegen die Pontons, ich höre die dunkel-dröhnenden Schiffsmotoren, die Motoren der Kräne, das Quietschen der Eisenbahnwaggons, das Brummen der Container-LKWs, ich höre das Kreischen der über uns kreisenden Möwen, aber ich höre auch die Geräusche das Bauens und Malens, das Geräusch der Holzsägen, das ölige Gleiten des Pinsels, ja, ich rieche sogar die Düfte des Ateliers, die Farben und Terpentinverdünnungen.
Das alles lösen diese Bilder aus. Sie sind entstanden durch eine aufmerksame und sensible Wahrnehmung unserer Welt, der Hamburger Wasser- und Hafenwelt und jetzt tragen sie diese vitale Energie in sich selber, die äußere Welt in sich aufgenommen und verwandelt zu neuem eigenen Leben. Diese Energie ist zum Teil schon gewaltig, chaotisch, ja sogar gewalttätig, sie erzählt von Stürmen, Schiffsuntergängen, Kanonen, Kriegen, Lebenskatastrophen, aber sie ist auch still, geordnet, ordnend, reinigend, ja meditativ.
So treffen hier zwei Welten aufeinander, die der äußeren Realität und die einer inneren Schau und Vision auf das, was in und hinter den Dingen steht, was in und hinter ihnen wirkt.
Wittwulf Malik
Arne Rautenberg – In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
Die schöpferische Positionierung des 1936 in Stettin geborenen Materialkünstlers Dieter Nestler fällt eindeutig zugunsten der Mimikry aus: Seit vielen Jahren der Frachtgutwelt des Hamburger Hafens verfallen, hat Nestler seinen Blick für die ästhetischen Phänomene des im Hafen dominierenden Cargotums geschärft; der Hafen gilt dabei seit jeher als ein mächtiges Symbol: Er ist der Ort, von dem aus man ebenso in die Welt starten, bzw. an dem man mit jedem neu einlaufenden Schiff die Welt wieder vor die Füße gelegt bekommen kann; er ist ein Umschlagplatz für Waren, Wesen, Wissen, für Nahes und Fernes, ein Ort der ungeahnten Möglichkeiten, an dem sich Kreise schließen und der Weltgeist sich unmittelbarer und rascher entfesseln lässt als anderswo. Der Hafen ist eine nautische Daseinsmetapher, wie Hans Blumenberg es formulierte. Dieser magische Ort, mit seinen speziellen Codes und Zeichen, ist der inhaltliche und formale Ausgangspunkt der Arbeiten von Dieter Nestler. Hier sammelt er sein Bildmaterial sowohl im physischen, wie auch ideellen Sinn: die symbolhaften Firmenlabels und Cargo-Signets, die witterungsbedingten Container-Strukturen, Schablonen-Schriftsätze, Graffitis wie das der von Nestler gern eingesetzten „Waggon-Lilly“ (das aufgegriffene Kritzelpiktogramm eines Frauentorsos); zudem nimmt er Fundstücke, etwa Konstruktionsrisse oder hölzerne Bootsbauschablonen als Bezugsgrößen mit in seine Arbeiten, Bilder und Skulpturen, hinein.
Selbst die Grundformen der Bilder sind durchtränkt von Hafenwirklichkeit: Ob rechteckig Containern nachempfunden, rund wie eine Kesselstirn oder sechseckig wie die Seiten riesiger Abfallbehälter – Dieter Nestler bannt in seinen Bildern die Kraft und Sehnsucht, die sich in der Hamburger Hafenwelt manifestiert. Um dem gemeinen Betrachter, dem die mal raue, mal feine Schönheit dieser Welt in der Regel verborgen bleibt, als ein Faszinosum zu offenbaren, hat Nestler sein Label geschaffen: NCA (Nestrans Container Art) – – und in manch einer Möwensilhouette, die leitmotivisch durch Nestlers Bildwelt fliegt, mag man das andere „Ich“ ihres Erzeugers mit ausmachen; denn Möwe und Künstler haben einiges gemeinsam: gelten sie doch als sturmerprobte Segelkünstler, die in langen Gleitflügen über den menschlichen Häuptern schweben und so ihrem eroberten Luftraum angehören.
Die Arbeit von Dieter Nestler steht in einer kunstgeschichtlichen Tradition, die sich an den Collagenumgang von Kurt Schwitters anlehnt; denn bei Schwitters wurde die künstlerische Praxis, Realgegenstände in Kunstwerke zu integrieren, um Ausschnitte der Wirklichkeit in die Kunst zu holen, zum Programm. „Der Abfall der Welt dient mir zur Kunst“ schrieb er. Doch anders als Schwitters, der bewusst willkürlich seinen Abfall auswählte, um diese Willkür als totale Befreiung zu feiern, sucht Nestler seine Fundstücke bewusst aus dem Hafenkontext und will sie in seiner Arbeit auch wieder in diesem Kontext präsentiert sehen.
Seinen künstlerischen Emanzipationsprozess hatte Nestler in den 60er Jahren. Ab 1953 hatte der Amerikaner Robert Rauschenberg mit seinen „Combine Paintings“ wieder an Schwitters angeknüpft, in dem er seine vom Abstrakten Expressionismus herkommende Malerei plötzlich mit Objekten kombinierte, die er als Material des Alltäglichen auswählte, um die Grenze zwischen Malerei und Skulptur einzureißen. Sein Credo „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist“, gilt als ein weiterer Versuch, die Lücke zwischen Kunst und Leben zu schließen – und war der Startschuss für das, was später in der Kunsthistorie als Pop Art und Environment bekannt wurde. Genau an diesem Punkt lässt sich der Hebel ansetzen, der es erlaubt, tiefer in den Geist der Bildwelt Dieter Nestlers einzudringen: Mit Mitteln der Malerei (die zum Teil in Trompe- l´oeil-Manier Oberflächen vortäuscht), der Collage und Assemblage soll es den Betrachtern von Nestlers Bildwelten schwer gemacht werden, Gegenstand und Kunstrealität eindeutig zu trennen. Integrierte Reproduktionstechniken wie Fotografie, Siebdruck und Sprühschablone unterstützen ihrerseits die angestrebte Wiedervereinigung.
Es gilt, eine Brücke zu schlagen, die sich von der Kunstwelt mitten ins Herz der Hafenwelt (und wieder zurück) spannt. Es gilt weiter, die eine Lebenswirklichkeit zu fassen, die sich in all ihren Erscheinungsformen, ob auf dem Werftgelände oder an der Galeriewand, zeigt; und ein Gefühl für die Überlagerung von Kunst und Leben zu erfahren. Der unkritische Impetus der Pop Art (Sieh hin! Und habe Spaß!) findet sich dabei auch in Arbeiten von Dieter Nestler; seine Kunstwerke grüßen vom Randbereich der Konsumgesellschaft, von einem Ort der Zwischenwelt, irgendwo zwischen übler Maloche und dem großen Geld, das sich damit machen lässt.
Allein Nestlers jüngstes Motiv, der Anker, weist auf ein Symbol des Glaubens und – obwohl gelichtet – auf die Möglichkeit des Verweilens, einen Platz der Hoffung, einer Ruhe vor dem nächsten Sturm.
Arne Rautenberg
Arne Rautenberg – In Hafensphären (Gedanken zu den Arbeiten von Dieter Nestler)
Die schöpferische Positionierung des 1936 in Stettin geborenen Materialkünstlers Dieter Nestler fällt eindeutig zugunsten der Mimikry aus: Seit vielen Jahren der Frachtgutwelt des Hamburger Hafens verfallen, hat Nestler seinen Blick für die ästhetischen Phänomene des im Hafen dominierenden Cargotums geschärft; der Hafen gilt dabei seit jeher als ein mächtiges Symbol: Er ist der Ort, von dem aus man ebenso in die Welt starten, bzw. an dem man mit jedem neu einlaufenden Schiff die Welt wieder vor die Füße gelegt bekommen kann; er ist ein Umschlagplatz für Waren, Wesen, Wissen, für Nahes und Fernes, ein Ort der ungeahnten Möglichkeiten, an dem sich Kreise schließen und der Weltgeist sich unmittelbarer und rascher entfesseln lässt als anderswo. Der Hafen ist eine nautische Daseinsmetapher, wie Hans Blumenberg es formulierte. Dieser magische Ort, mit seinen speziellen Codes und Zeichen, ist der inhaltliche und formale Ausgangspunkt der Arbeiten von Dieter Nestler. Hier sammelt er sein Bildmaterial sowohl im physischen, wie auch ideellen Sinn: die symbolhaften Firmenlabels und Cargo-Signets, die witterungsbedingten Container-Strukturen, Schablonen-Schriftsätze, Graffitis wie das der von Nestler gern eingesetzten „Waggon-Lilly“ (das aufgegriffene Kritzelpiktogramm eines Frauentorsos); zudem nimmt er Fundstücke, etwa Konstruktionsrisse oder hölzerne Bootsbauschablonen als Bezugsgrößen mit in seine Arbeiten, Bilder und Skulpturen, hinein.
Selbst die Grundformen der Bilder sind durchtränkt von Hafenwirklichkeit: Ob rechteckig Containern nachempfunden, rund wie eine Kesselstirn oder sechseckig wie die Seiten riesiger Abfallbehälter – Dieter Nestler bannt in seinen Bildern die Kraft und Sehnsucht, die sich in der Hamburger Hafenwelt manifestiert. Um dem gemeinen Betrachter, dem die mal raue, mal feine Schönheit dieser Welt in der Regel verborgen bleibt, als ein Faszinosum zu offenbaren, hat Nestler sein Label geschaffen: NCA (Nestrans Container Art) – und in manch einer Möwensilhouette, die leitmotivisch durch Nestlers Bildwelt fliegt, mag man das andere „Ich“ ihres Erzeugers mit ausmachen; denn Möwe und Künstler haben einiges gemeinsam: gelten sie doch als sturmerprobte Segelkünstler, die in langen Gleitflügen über den menschlichen Häuptern schweben und so ihrem eroberten Luftraum angehören.
Die Arbeit von Dieter Nestler steht in einer kunstgeschichtlichen Tradition, die sich an den Collagenumgang von Kurt Schwitters anlehnt; denn bei Schwitters wurde die künstlerische Praxis, Realgegenstände in Kunstwerke zu integrieren, um Ausschnitte der Wirklichkeit in die Kunst zu holen, zum Programm. „Der Abfall der Welt dient mir zur Kunst“ schrieb er. Doch anders als Schwitters, der bewusst willkürlich seinen Abfall auswählte, um diese Willkür als totale Befreiung zu feiern, sucht Nestler seine Fundstücke bewusst aus dem Hafenkontext und will sie in seiner Arbeit auch wieder in diesem Kontext präsentiert sehen.
Seinen künstlerischen Emanzipationsprozess hatte Nestler in den 60er Jahren. Ab 1953 hatte der Amerikaner Robert Rauschenberg mit seinen „Combine Paintings“ wieder an Schwitters angeknüpft, in dem er seine vom Abstrakten Expressionismus herkommende Malerei plötzlich mit Objekten kombinierte, die er als Material des Alltäglichen auswählte, um die Grenze zwischen Malerei und Skulptur einzureißen. Sein Credo „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist“, gilt als ein weiterer Versuch, die Lücke zwischen Kunst und Leben zu schließen – und war der Startschuss für das, was später in der Kunsthistorie als Pop Art und Environment bekannt wurde. Genau an diesem Punkt lässt sich der Hebel ansetzen, der es erlaubt, tiefer in den Geist der Bildwelt Dieter Nestlers einzudringen: Mit Mitteln der Malerei (die zum Teil in Trompe- l´oeil-Manier Oberflächen vortäuscht), der Collage und Assemblage soll es den Betrachtern von Nestlers Bildwelten schwer gemacht werden, Gegenstand und Kunstrealität eindeutig zu trennen. Integrierte Reproduktionstechniken wie Fotografie, Siebdruck und Sprühschablone unterstützen ihrerseits die angestrebte Wiedervereinigung.
Es gilt, eine Brücke zu schlagen, die sich von der Kunstwelt mitten ins Herz der Hafenwelt (und wieder zurück) spannt. Es gilt weiter, die eine Lebenswirklichkeit zu fassen, die sich in all ihren Erscheinungsformen, ob auf dem Werftgelände oder an der Galeriewand, zeigt; und ein Gefühl für die Überlagerung von Kunst und Leben zu erfahren. Der unkritische Impetus der Pop Art (Sieh hin! Und habe Spaß!) findet sich dabei auch in Arbeiten von Dieter Nestler; seine Kunstwerke grüßen vom Randbereich der Konsumgesellschaft, von einem Ort der Zwischenwelt, irgendwo zwischen übler Maloche und dem großen Geld, das sich damit machen lässt.
Allein Nestlers jüngstes Motiv, der Anker, weist auf ein Symbol des Glaubens und – obwohl gelichtet – auf die Möglichkeit des Verweilens, einen Platz der Hoffung, einer Ruhe vor dem nächsten Sturm.
Arne Rautenberg
Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
In ihrer letzten Ausgabe vom 28.12.2006 titelt DIE ZEIT : Wo bleibt die Zeit. Jedes Jahr scheint schneller zu verstreichen. Und der Zeitdruck ist so hoch wie noch nie. Wie es gelingen kann, die Langsamkeit neu zu entdecken.
Tatsächlich werden in unserer schnelllebigen, von der Rasanz technisch-ökonomischer Abläufe geprägten Zeit- time is money- die individuellen und sozialen, physischen und psychischen Folgen solcher Beschleunigungs-prozesse zunehmend besorgt erkannt und als belastend erfahren.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln sich schon seit langem mit einer solchen Thematik auseinandersetzen. Beispielhaft sei der aus heutiger Sicht eher naiv anmutende Fortschrittsglaube und die optimistische Glorifizierung von Geschwindigkeit durch die Futuristen erwähnt.
Demgegenüber lassen die Uhrobjekte von Dieter Nestler eher ein bedächtig –melancholisches, auch ironisches Verhältnis zur Problematik individueller und objektiver Zeit erkennen. Wie Fetische einer Kultur aus ferner Zeit treten uns die Objekte entgegen, bereit, ihre magische Kraft gegenüber einem entfesselten Zeit- Geist zu entfalten. Blickpunkt aller Raumobjekte und reliefartigen Wandobjekte sind eingebaute Uhren, rund, mit und ohne Zifferblatt. Diese Uhren funktionieren, wie man es von ihnen erwartet: sie zeigen die Zeit an, objektiv und zuverlässig, exakt auf die Stunde, Minute und Sekunde.
Aber das ist natürlich nicht alles, dazu bedürfte es keiner aufwendigen, zeitraubenden Gestaltung durch den Künstler. Dekoration ist nicht Dieter Nestlers Sache. Seinen Uhr-Sachen geht es um mehr. Werfen wir dazu einen Blick auf die Gestaltung der Objekte.
Die stelenartigen Raumobjekte wirken in ihrer äußeren Gestalt zunächst statuarisch und unbeweglich. In der Betonung der Vertikalen und ausgewogenen Statik der miteinander verbundenen Einzelteile wird eine klare konstruktive Struktur sichtbar. Diese gibt den Objekten, durch einen flachen Sockel unterstützt, Stand und Festigkeit, ja Stillstand, wären da nicht die im Sekundentakt nervös tickenden Zeigerlinien und das überaus bewegte Innenleben der Objekte.
Ganz im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und formalen Gliederung werden im Inneren der Objekte Malprozesse sichtbar, also subjektive Zeitabläufe: tachistisch verlaufene und geronnene Spuren der Malaktion und kurze stürmische Pinselstriche drängen an die Grenzen ihrer Binnenform, Farbflächen brechen abrupt ab, bleiben fragmentarisch, Übergänge deuten sich an, Übermalungen und Untermalungen sind erkennbar, lasierender und deckender Farbauftrag – Dieter Nestler beherrscht das Instrumentarium seiner malerischer Mittel.
Hinzu kommt die Einbeziehung heterogener, häufig vorgefundener Materialien, deren Gebrauchsspuren und –formen willkommen sind. Etwa ein im Hafen gefundener Farbrührstab oder Holzschablonen von einer alten Bootswerft aus vergangener Zeit unterhalb der Köhlbrandbrücke, auch vereinzelte Fotos längst entsorgter Hafenkräne finden ihren Platz.
Allen diesen Fundstücken gemeinsam ist, dass sie, ihrer ursprünglichen Funktion ledig, scheinbar nutzlos sind. Erst ihre Verwendung im Objekt rückt sie erneut in unser Blickfeld, Spuren ihrer Gebrauchsgeschichte werden ablesbar, gespeicherte Gebrauchszeit erfahrbar.
Indem Dieter Nestler diese Materialien, Farben und Malweisen im Objekt zu einem Ganzen fügt, thematisiert er gleichzeitig objektive und subjektive Zeitvorgänge, Dynamik und Statik. Die Einbindung des Alltagsgegenstandes, die Uhr, in das ästhetische Objekt erweitert so dessen Gebrauchswert, sie macht Sinn.
Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die Fragen im eingangs zitierten Titel der Wochenzeitung zurückzukommen. Am Beispiel der angesprochenen Objekte wird deutlich, wie die Antwort des Künstlers aussieht. In der Gestaltung seines Werkes, im kreativen Umgang mit der eigenen Lebens-Zeit verbinden sich sorgfältig- langwierige Konstruktion und spontan-dynamische Aktion: nicht die vermeintliche Neuentdeckung der Langsamkeit ist daher allein von Bedeutung, sondern das sinnstiftende Wechselspiel dynamischer und statischer Lebensprozesse, der gestaltete Wechsel von Vorgängen der Beschleunigung und Entschleunigung, der Spannung und Entspannung. In diesem Sinne sind die Uhrsachen von Dieter Nestler Monumente einer umfassenden Zeitlichkeit menschlicher Existenz.
Hannover, im Januar 2007
Jürgen Schneyder
Jürgen Schneyder Zeit-Geist und Uhr-Sachen
In ihrer letzten Ausgabe vom 28.12.2006 titelt DIE ZEIT : Wo bleibt die Zeit. Jedes Jahr scheint schneller zu verstreichen. Und der Zeitdruck ist so hoch wie noch nie. Wie es gelingen kann, die Langsamkeit neu zu entdecken.
Tatsächlich werden in unserer schnelllebigen, von der Rasanz technisch-ökonomischer Abläufe geprägten Zeit- time is money- die individuellen und sozialen, physischen und psychischen Folgen solcher Beschleunigungs-prozesse zunehmend besorgt erkannt und als belastend erfahren.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch Künstler aus unterschiedlichen Blickwinkeln sich schon seit langem mit einer solchen Thematik auseinandersetzen. Beispielhaft sei der aus heutiger Sicht eher naiv anmutende Fortschrittsglaube und die optimistische Glorifizierung von Geschwindigkeit durch die Futuristen erwähnt.
Demgegenüber lassen die Uhrobjekte von Dieter Nestler eher ein bedächtig –melancholisches, auch ironisches Verhältnis zur Problematik individueller und objektiver Zeit erkennen. Wie Fetische einer Kultur aus ferner Zeit treten uns die Objekte entgegen, bereit, ihre magische Kraft gegenüber einem entfesselten Zeitgeist zu entfalten. Blickpunkt aller Raumobjekte und reliefartigen Wandobjekte sind eingebaute Uhren, rund, mit und ohne Zifferblatt. Diese Uhren funktionieren, wie man es von ihnen erwartet: sie zeigen die Zeit an, objektiv und zuverlässig, exakt auf die Stunde, Minute und Sekunde.
Aber das ist natürlich nicht alles, dazu bedürfte es keiner aufwendigen, zeitraubenden Gestaltung durch den Künstler. Dekoration ist nicht Dieter Nestlers Sache. Seinen Uhr-Sachen geht es um mehr. Werfen wir dazu einen Blick auf die Gestaltung der Objekte.
Die stelenartigen Raumobjekte wirken in ihrer äußeren Gestalt zunächst statuarisch und unbeweglich. In der Betonung der Vertikalen und ausgewogenen Statik der miteinander verbundenen Einzelteile wird eine klare konstruktive Struktur sichtbar. Diese gibt den Objekten, durch einen flachen Sockel unterstützt, Stand und Festigkeit, ja Stillstand, wären da nicht die im Sekundentakt nervös tickenden Zeigerlinien und das überaus bewegte Innenleben der Objekte.
Ganz im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und formalen Gliederung werden im Inneren der Objekte Malprozesse sichtbar, also subjektive Zeitabläufe: tachistisch verlaufene und geronnene Spuren der Malaktion und kurze stürmische Pinselstriche drängen an die Grenzen ihrer Binnenform, Farbflächen brechen abrupt ab, bleiben fragmentarisch, Übergänge deuten sich an, Übermalungen und Untermalungen sind erkennbar, lasierender und deckender Farbauftrag – Dieter Nestler beherrscht das Instrumentarium seiner malerischer Mittel.
Hinzu kommt die Einbeziehung heterogener, häufig vorgefundener Materialien, deren Gebrauchsspuren und –formen willkommen sind. Etwa ein im Hafen gefundener Farbrührstab oder Holzschablonen von einer alten Bootswerft aus vergangener Zeit unterhalb der Köhlbrandbrücke, auch vereinzelte Fotos längst entsorgter Hafenkräne finden ihren Platz.
Allen diesen Fundstücken gemeinsam ist, dass sie, ihrer ursprünglichen Funktion ledig, scheinbar nutzlos sind. Erst ihre Verwendung im Objekt rückt sie erneut in unser Blickfeld, Spuren ihrer Gebrauchsgeschichte werden ablesbar, gespeicherte Gebrauchszeit erfahrbar.
Indem Dieter Nestler diese Materialien, Farben und Malweisen im Objekt zu einem Ganzen fügt, thematisiert er gleichzeitig objektive und subjektive Zeitvorgänge, Dynamik und Statik. Die Einbindung des Alltagsgegenstandes, die Uhr, in das ästhetische Objekt erweitert so dessen Gebrauchswert, sie macht Sinn.
Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die Fragen im eingangs zitierten Titel der Wochenzeitung zurückzukommen. Am Beispiel der angesprochenen Objekte wird deutlich, wie die Antwort des Künstlers aussieht. In der Gestaltung seines Werkes, im kreativen Umgang mit der eigenen Lebens-Zeit verbinden sich sorgfältig- langwierige Konstruktion und spontan-dynamische Aktion: nicht die vermeintliche Neuentdeckung der Langsamkeit ist daher allein von Bedeutung, sondern das sinnstiftende Wechselspiel dynamischer und statischer Lebensprozesse, der gestaltete Wechsel von Vorgängen der Beschleunigung und Entschleunigung, der Spannung und Entspannung. In diesem Sinne sind die Ursachen von Dieter Nestler Monumente einer umfassenden Zeitlichkeit menschlicher Existenz.
Hannover, im Januar 2007
Jürgen Schneyder
Dieter Nestler – Wasserspiegelungen
Angesichts der vielfältigen Präsenz von Wasser in meiner Umgebung lag es nahe, dass sich im Laufe der Zeit mein gestalterisches Interesse den verschiedenartigen Erscheinungsformen dieses Elements zugewendet hat.
Mich faszinierte das unstete Wechselspiel der Spiegelbilder von Häusern, Fenstern, Segeln und Schiffen, denen ich kompositorische Eigenständigkeit und Dichte zu geben versuchte. Gleichzeitig wollte ich die Jalousie-Lamellen in Spiegelformen übergehen lassen, um den selbst inszenierten Käfig aufzulösen und ihn zu verlassen.
Es gibt eine Reihe von Siebdruckentwürfen (von denen nur wenige realisiert wurden), wo die Lamellen in Spiegelformen übergehen, wie ich sie im Wasser beobachtet hatte. Es entstanden „Wasserspiegelungen“.
Friedensreich Hundertwasser war einer meiner Lehrer an der Hochschule gewesen. Er hätte sich möglicherweise über die Annäherung im Geiste eines seiner ehemaligen Schüler gefreut. Die fließende Linie war ja sein gestalterisches Credo. Ich wollte aber nicht, dass sich die Linien in dekorativen Schnörkeln verlieren. Die Strukturierung sollte erhalten bleiben.
Unter einem von den Studenten errichteten Baldachin auf einem Tisch sitzend, zelebrierte Hundertwasser seine Philosophie des „Spiraloid aus dem Geiste der Wüste“. Sie mündete in ein Happening, wohl das erste überhaupt, welches der Meister und sein Adlatus Bazon Brock gemeinsam mit den abwechselnd beteiligten Kunststudenten veranstalteten: das Ziehen einer ununterbrochenen Linie, die im Klassenraum begann und sich letztlich bis ins Universum fortsetzen sollte. Dazu kam es allerdings nicht, denn die Provokation, die darin bestand, den traditionellen Kunstbegriff infrage zu stellen, wurde von der Hochschulleitung mit Abbruch und Rausschmiss geahndet. Ich empfand die Entscheidung und auch die Reaktion des größten Teils der Dozenten und Studenten als engstirnig und dumm. Man hatte ihnen die Show gestohlen! Die Idee, aus einer meditativen Atmosphäre heraus eine gemeinschaftliche Arbeit zu entwickeln, deren Ende offen blieb, aber die Fantasie ins Grenzenlose beflügelte, war damals für uns alle etwas ganz Neues und durchaus Beflügelndes.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Wasserspiegelungen
Angesichts der vielfältigen Präsenz von Wasser in meiner Umgebung lag es nahe, dass sich im Laufe der Zeit mein gestalterisches Interesse den verschiedenartigen Erscheinungsformen dieses Elements zugewendet hat.
Mich faszinierte das unstete Wechselspiel der Spiegelbilder von Häusern, Fenstern, Segeln und Schiffen, denen ich kompositorische Eigenständigkeit und Dichte zu geben versuchte. Gleichzeitig wollte ich die Jalousie-Lamellen in Spiegelformen übergehen lassen, um den selbst inszenierten Käfig aufzulösen und ihn zu verlassen.
Es gibt eine Reihe von Siebdruckentwürfen (von denen nur wenige realisiert wurden), wo die Lamellen in Spiegelformen übergehen, wie ich sie im Wasser beobachtet hatte. Es entstanden „Wasserspiegelungen“.
Friedensreich Hundertwasser war einer meiner Lehrer an der Hochschule gewesen. Er hätte sich möglicherweise über die Annäherung im Geiste eines seiner ehemaligen Schüler gefreut. Die fließende Linie war ja sein gestalterisches Credo. Ich wollte aber nicht, dass sich die Linien in dekorativen Schnörkeln verlieren. Die Strukturierung sollte erhalten bleiben.
Unter einem von den Studenten errichteten Baldachin auf einem Tisch sitzend, zelebrierte Hundertwasser seine Philosophie des „Spiraloid aus dem Geiste der Wüste“. Sie mündete in ein Happening, wohl das erste überhaupt, welches der Meister und sein Adlatus Bazon Brock gemeinsam mit den abwechselnd beteiligten Kunststudenten veranstalteten: das Ziehen einer ununterbrochenen Linie, die im Klassenraum begann und sich letztlich bis ins Universum fortsetzen sollte. Dazu kam es allerdings nicht, denn die Provokation, die darin bestand, den traditionellen Kunstbegriff infrage zu stellen, wurde von der Hochschulleitung mit Abbruch und Rausschmiss geahndet. Ich empfand die Entscheidung und auch die Reaktion des größten Teils der Dozenten und Studenten als engstirnig und dumm. Man hatte ihnen die Show gestohlen! Die Idee, aus einer meditativen Atmosphäre heraus eine gemeinschaftliche Arbeit zu entwickeln, deren Ende offen blieb, aber die Fantasie ins Grenzenlose beflügelte, war damals für uns alle etwas ganz Neues und durchaus Beflügelndes.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Jalousiebilder
Horizontale Rasterfelder gewährten mit kühl kalkulierten Farbverläufen, die die Bildfläche wie optische Gitter schlossen und öffneten, Durchblicke in scheinbare Landschaften. Diese sogenannten Jalousie-Bilder meldeten als Scheinfenster einen architektonischen Anspruch an. Ich entdeckte für mich die Möglichkeit, Landschaften mithilfe des Jalousie-Prinzips in ein transparentes System zu überführen und zu gliedern. Das entsprach meinem Bedürfnis nach Weite einerseits und rhythmisch kontrapunktischer Störung andererseits. So entstanden Landschaftsbilder mit stakkatohaften Abläufen, in denen ich versuchte, eine architektonische, raumbezogene Wirkung zu erzielen. Bilder als Scheinfenster, die einen realen Fensterausschnitt flankierten, der z..B. den Blick auf einen Kastanienbaum einrahmte.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Jalousiebilder
Horizontale Rasterfelder gewährten mit kühl kalkulierten Farbverläufen, die die Bildfläche wie optische Gitter schlossen und öffneten, Durchblicke in scheinbare Landschaften. Diese sogenannten Jalousie-Bilder meldeten als Scheinfenster einen architektonischen Anspruch an. Ich entdeckte für mich die Möglichkeit, Landschaften mithilfe des Jalousie-Prinzips in ein transparentes System zu überführen und zu gliedern. Das entsprach meinem Bedürfnis nach Weite einerseits und rhythmisch kontrapunktischer Störung andererseits. So entstanden Landschaftsbilder mit stakkatohaften Abläufen, in denen ich versuchte, eine architektonische, raumbezogene Wirkung zu erzielen. Bilder als Scheinfenster, die einen realen Fensterausschnitt flankierten, der z..B. den Blick auf einen Kastanienbaum einrahmte.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Container-Bilder
Irgendwann tauchten Container auf meiner Route auf. Es gab kein Entrinnen vor diesen schwerfällig dahinrollenden Bildwänden auf der Container-Route. So musste ich mich dieser neuen Handelsgrammatik zuwenden und lernte bald ehrfürchtig Abstand zu halten vor „Poison“, „Explosive Liquid“ und „Dangerous Goods“. Ich verfolgte den Weg zum Terminal, wo sie sich haushoch stapelten, Fluchten und Schluchten bildeten. Mein Interesse galt nie dem nutzlastigen Inhalt, sondern der Zeichensprache, die diese metallenen oder mehrfachsperrholzverleimten Kisten aussenden, dieser vielfältigen und vielschichtigen Beredsamkeit des internationalen Cargo-Gigantismus. Eine ausdrucksvolle realistische Sprache, eindeutig für den Kundigen, der tagtäglich Umgang mit ihr pflegt. Ein Ordnungssystem, gebunden an Güter, Chiffren und Strukturraster.
Zunächst übernahm ich die Struktur dieser metallenen Kisten. Erst als senkrechte Gliederungsmöglichkeit der Bildfläche, später in allen möglichen Strukturvarianten. Es entstanden komplizierte Bildkonzeptionen, die u.a. zu Kompositionen auf mehreren Bildebenen führten. Der Verzicht auf die illusionistischen Strukturraster, die dem Gliederungsprinzip des Containers entlehnt waren, eröffnete größeren gestalterischen Spielraum für materialbetontes Arbeiten.
Und in dem Maße, wie meine Arbeiten wieder das Material zuließen, sich vom Abbildhaften entfernten, Fundstücke aufnahmen und Objekt-Charakter bekamen, dokumentierte ich die Quellen meiner Inspiration fotografisch. So entstand ein Depot von Fotos aus dem Bereich des Hamburger Hafens: Schiffe, Brücken, Kräne, Gerät als Inventar eines gigantischen Skulpturenparks. In späteren Arbeiten konnte ich auf diesen Fundus als Collagematerial zurückgreifen. Wenn ich ein Emblem oder ein Wort übernehme, interessiert mich weniger die zweckgerichtete Bedeutung als vielmehr die Möglichkeit, zwischen diesen Zeichen und anderen Bildelementen neue, überraschende Beziehungen zu finden.
Abmalen habe ich allerdings nie im Sinn, auch wenn hier und da mal ein kleines Trompe-l´oeil unterläuft. Ich bewege mich frei und mutwillig in diesem unerschöpflichen Pandämonium der Cargo-Sprache. Ich beute sie aus als Lieferant von Bildideen, kopiere Firmenzeichen und Gefahren-Labels, reiße sie auseinander, füge Unterschiedliches zusammen, überlagere Teile, lasierend, deckend, collagierend, verdrehe sie, stelle sie auf den Kopf, ändere ihre Farbe, verliebe mich in Scheuer- oder Kleckerspuren, Rostflecken, Reparaturflicken oder die Jungfrau Veritas, Schutzpatronin der Transportversicherer.
Auch transferiere ich handschriftliche Vermerke, Fragmente von Bestimmungshinweisen, die oft skurrile dadaistische Zufallswortspiele hervorrufen. Nicht alle Zeichen sind bereits in Umlauf. Manchmal erfinde ich neue und entlasse sie, meinem gestalterischen Expansionstrieb folgend, in einen fiktiven Handelskreislauf: Containerlandschaften – Landschaftscontainer
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Container-Bilder
Irgendwann tauchten Container auf meiner Route auf. Es gab kein Entrinnen vor diesen schwerfällig dahinrollenden Bildwänden auf der Container-Route. So musste ich mich dieser neuen Handelsgrammatik zuwenden und lernte bald ehrfürchtig Abstand zu halten vor „Poison“, „Explosive Liquid“ und „Dangerous Goods“. Ich verfolgte den Weg zum Terminal, wo sie sich haushoch stapelten, Fluchten und Schluchten bildeten. Mein Interesse galt nie dem nutzlastigen Inhalt, sondern der Zeichensprache, die diese metallenen oder mehrfachsperrholzverleimten Kisten aussenden, dieser vielfältigen und vielschichtigen Beredsamkeit des internationalen Cargo-Gigantismus. Eine ausdrucksvolle realistische Sprache, eindeutig für den Kundigen, der tagtäglich Umgang mit ihr pflegt. Ein Ordnungssystem, gebunden an Güter, Chiffren und Strukturraster.
Zunächst übernahm ich die Struktur dieser metallenen Kisten. Erst als senkrechte Gliederungsmöglichkeit der Bildfläche, später in allen möglichen Strukturvarianten. Es entstanden komplizierte Bildkonzeptionen, die u.a. zu Kompositionen auf mehreren Bildebenen führten. Der Verzicht auf die illusionistischen Strukturraster, die dem Gliederungsprinzip des Containers entlehnt waren, eröffnete größeren gestalterischen Spielraum für materialbetontes Arbeiten.
Und in dem Maße, wie meine Arbeiten wieder das Material zuließen, sich vom Abbildhaften entfernten, Fundstücke aufnahmen und Objekt-Charakter bekamen, dokumentierte ich die Quellen meiner Inspiration fotografisch. So entstand ein Depot von Fotos aus dem Bereich des Hamburger Hafens: Schiffe, Brücken, Kräne, Gerät als Inventar eines gigantischen Skulpturenparks. In späteren Arbeiten konnte ich auf diesen Fundus als Collagematerial zurückgreifen. Wenn ich ein Emblem oder ein Wort übernehme, interessiert mich weniger die zweckgerichtete Bedeutung als vielmehr die Möglichkeit, zwischen diesen Zeichen und anderen Bildelementen neue, überraschende Beziehungen zu finden.
Abmalen habe ich allerdings nie im Sinn, auch wenn hier und da mal ein kleines Trompe-l´oeil unterläuft. Ich bewege mich frei und mutwillig in diesem unerschöpflichen Pandämonium der Cargo-Sprache. Ich beute sie aus als Lieferant von Bildideen, kopiere Firmenzeichen und Gefahren-Labels, reiße sie auseinander, füge Unterschiedliches zusammen, überlagere Teile, lasierend, deckend, collagierend, verdrehe sie, stelle sie auf den Kopf, ändere ihre Farbe, verliebe mich in Scheuer- oder Kleckerspuren, Rostflecken, Reparaturflicken oder die Jungfrau Veritas, Schutzpatronin der Transportversicherer.
Auch transferiere ich handschriftliche Vermerke, Fragmente von Bestimmungshinweisen, die oft skurrile dadaistische Zufallswortspiele hervorrufen. Nicht alle Zeichen sind bereits in Umlauf. Manchmal erfinde ich neue und entlasse sie, meinem gestalterischen Expansionstrieb folgend, in einen fiktiven Handelskreislauf: Containerlandschaften – Landschaftscontainer
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftblöcke
Ich nenne meine Skulpturen „Werftblöcke“. Der Titel mag zunächst überraschen angesichts von Objekten, die eher wie Teile einer Innenausstattung, nicht wie ruppiges Arbeitsgerät wirken.
Der Hafen ist in meiner künstlerischen Arbeit das entscheidende Bezugsfeld. Die reiche Formenwelt im Schiffbau und im Warenverkehr per Schiff oder Bahn fasziniert mich seit Jahrzehnten und regt mich zu Bildfindungen an. So beziehen sich meine „Werftblöcke“ auf Arbeitsgeräte für den Schiffbau. Die sogenannten „Kielpallen“ sind ursprünglich pyramidenförmige Metallblöcke auf quadratischem Grundriss, die man auf einer Werft zu beiden Seiten des Kiels eines zu reparierenden Schiffes schiebt, um diesem Halt zu geben.
Die originalen Kielpallen bestehen aus Eisen oder Stahl. Sie haben durch Farb- und Arbeitsspuren eine eigene Ästhetik, großzügig und originell, wie eben der absichtslose Zufall Dinge gestaltet. Ich übernahm die Grundform als Konzept für meine Kunstobjekte. Sie wurden zu Bildträgern für Farbabläufe, Collageelemente und Schriftzeichen.
Die Kielpallen haben normalerweise Öffnungen, in die Kranhaken zum Transport einklinken. Diese Öffnungen griff ich auf als Anregungen für die kleinen „Fenster“ in meinen Werftblöcken. Eingelassen in diese sind Fotos aus meinem umfangreichen fotografischen Œuvre zum Thema Hafen.
So steht fotografisch-illusionistische Wirklichkeit in Spannung zu handfester Dreidimensionalität.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftstücke
Im Sommer 1986 fand ich zwischen Köhlbrand und Tollerort ein Gelände, auf dem gebrauchte Container gelagert und repariert wurden. Dort entdeckte ich eine alte stillgelegte Halle, ehemals Teil einer kleinen Werft, in der früher Boote gebaut wurden, die aber jetzt nur noch als Lagerraum diente. Sie befand sich am Ende des Kohlenschiffhafens.
Im Kehricht der von Maschinen und Werkzeugen längst geräumten Halle und in den dunklen Rumpelecken fand ich Formteile, Konstruktionsschablonen, auch Mallen genannt, und Spantrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden – teils intakt, teils als Bruchstücke, welche bereits für den Müll bestimmt waren.
Ich barg das Material aus Staub, Schutt und Schimmel, säuberte die Teile, flickte Auseinandergebrochenes wieder zusammen, ergänzte fehlende Elemente. Hinweise, Informationen, Markierungen wurden lesbar, eine Sprache aus Linien, Kürzeln, Zahlen und Worten wie Dollbord, Duchten, Sponung… Begriffe, die nur dem Eingeweihten verständlich sind.
Da ich nie einem vorgegebenen Plan folge, gebe ich dem Zufall Raum und lasse mich gern von seinen Mutwilligkeiten überraschen.
Es gibt eine Reihe von Objekten, in denen ich besonders behutsam mit dem gefundenen Material umgegangen bin. Dabei handelt es sich vorwiegend um Konstruktionsanweisungen für den Bootsbau, die ich aus dem Nachlassmüll der Werft geborgen hatte. Um die „Sprache“ der Anweisungen nicht zu stören, das lebendige Spiel von Linien, Zahlen und Beschriftungen in ihrer eigenwilligen Ästhetik zu erhalten, präsentiere ich sie mit nur geringfügigen Eingriffen so, dass sie als eine Art Spurensicherung von Arbeit im Hafenbereich angesehen werden können. Diese Spuren aus der Arbeitswelt des traditionellen Bootsbaus wären ohne meinen Zugriff verwischt. Hätte mich nicht mein Interesse, neue Aspekte für mein langjähriges künstlerisches Arbeitsprogramm NESTRANS CONTAINER ART zu erschließen, an diesen Ort geführt, so gäbe es keine handfesten Zeugnisse mehr von dieser häufig im Sturm gefluteten und nun untergegangenen Welt.
Ich war Jörgen Bracker, der damalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, dankbar, dass er mir die Möglichkeit gab, meine Bilder und Objekte in seinem Museum zu zeigen, und zwar im Innenraum wie auch im neu überkuppelten und damit vor Regen geschützten Innenhof.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Werftstücke
Im Sommer 1986 fand ich zwischen Köhlbrand und Tollerort ein Gelände, auf dem gebrauchte Container gelagert und repariert wurden. Dort entdeckte ich eine alte stillgelegte Halle, ehemals Teil einer kleinen Werft, in der früher Boote gebaut wurden, die aber jetzt nur noch als Lagerraum diente. Sie befand sich am Ende des Kohlenschiffhafens.
Im Kehricht der von Maschinen und Werkzeugen längst geräumten Halle und in den dunklen Rumpelecken fand ich Formteile, Konstruktionsschablonen, auch Mallen genannt, und Spantrisse, die beim Bootsbau benötigt wurden – teils intakt, teils als Bruchstücke, welche bereits für den Müll bestimmt waren.
Ich barg das Material aus Staub, Schutt und Schimmel, säuberte die Teile, flickte Auseinandergebrochenes wieder zusammen, ergänzte fehlende Elemente. Hinweise, Informationen, Markierungen wurden lesbar, eine Sprache aus Linien, Kürzeln, Zahlen und Worten wie Dollbord, Duchten, Sponung… Begriffe, die nur dem Eingeweihten verständlich sind.
Da ich nie einem vorgegebenen Plan folge, gebe ich dem Zufall Raum und lasse mich gern von seinen Mutwilligkeiten überraschen.
Es gibt eine Reihe von Objekten, in denen ich besonders behutsam mit dem gefundenen Material umgegangen bin. Dabei handelt es sich vorwiegend um Konstruktionsanweisungen für den Bootsbau, die ich aus dem Nachlassmüll der Werft geborgen hatte. Um die „Sprache“ der Anweisungen nicht zu stören, das lebendige Spiel von Linien, Zahlen und Beschriftungen in ihrer eigenwilligen Ästhetik zu erhalten, präsentiere ich sie mit nur geringfügigen Eingriffen so, dass sie als eine Art Spurensicherung von Arbeit im Hafenbereich angesehen werden können. Diese Spuren aus der Arbeitswelt des traditionellen Bootsbaus wären ohne meinen Zugriff verwischt. Hätte mich nicht mein Interesse, neue Aspekte für mein langjähriges künstlerisches Arbeitsprogramm NESTRANS CONTAINER ART zu erschließen, an diesen Ort geführt, so gäbe es keine handfesten Zeugnisse mehr von dieser häufig im Sturm gefluteten und nun untergegangenen Welt.
Ich war Jörgen Bracker, der damalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, dankbar, dass er mir die Möglichkeit gab, meine Bilder und Objekte in seinem Museum zu zeigen, und zwar im Innenraum wie auch im neu überkuppelten und damit vor Regen geschützten Innenhof.
Dieter Nestler
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG
Dieter Nestler – Kleine Weltreise oder der Hafen als „Ready Made“
Mein Weg führt nicht straight nach Rio oder Singapur, sondern in kleineren Schritten kreuz und quer über die Asiastraße zum Krahnhöft, vorbei an Saale- und Moldauhafen, wo die Tschechen und Slowaken liegen. Ein Ensemble gewaltiger Metallplastiken bevölkert die Kaizungen: vielleicht Abgestelltes von Arno und Luginbühl?
Drüben vor dem schwülen blaugrauen Sommerhimmel der elegante bananengefüllte Leib der „Caracas-Reefer“. Hurtig am Kai die Kühltransporter, einer umkurvt den russischen Container derart geschwind, dass der Morflot-Kosak zu hüpfen beginnt. Hinter den 50er Schupppen an der Australiastraße erhebt sich trotzig und stolz die Phalanx der alten Kampnagel-Kräne, als wolle sie das Schicksal der Ausmusterung noch wenden. Eine Skulpturenreihe von monumentaler Kraft und Dichte.
Am Ende der Kaizunge, hin zum Hansahöft, zwei große Schiffsschrauben von mehreren Metern Spannweite, riesigen schwarzen Blumen gleich, vom kargen Bollwerkgras umsäumt. Jeweils vier weich gewölbte raumgreifende Flügel, an einigen Stellen blank gekratzt, mit Namen und Daten versehen und krakeligen Linien: Gloria for Africa! Max Bills Produkt? Wohl kaum, als Purist hätte der die mattschwarze Oberfläche nicht angegriffen.
Im Hansahafen die beiden gigantischen HHLA-Schwimmkräne in ihrer bizarren Schönheit, wie aus einem Stabilbaukasten des Altmeisters Paolozzi gefügt.
Um auf den Stapelplatz am India-Kai zu gelangen, auf dem die Exoten unter den Containern abgestellt sind, kann man über die Gleise der Hafenbahn gehen oder, wenn´s keiner sieht, mitten durch den leeren Waggon hindurch, auf dessen Tür mit Kreide „Trelleborg“ geschrieben steht, auf dem Frachtzettel aber in Druckschrift „Mürzzuschlag“.
Wie ein Bouquet bunter Blumen leuchten in diagonaler Ordnung darüber die Imco-Label „Oxidising Agent“, „Dangerous when wet“, „Inflammable liquid“ und ein Fetzen „Corrosive“. Geballte Ladung also! Tod und Teufel sind hier unterwegs, ihre gefährliche Fracht mit verführerischer Schönheit bunter Etiketten schmückend: les fleurs du poison! Welch ein Irrtum zu glauben, das Böse und Bedrohliche offenbare sich im Hässlichen, wie eh und je ist es auf Täuschung aus und verbirgt sich hinter der Maske bunt schillernder, nicht nur dem Auge des Künstlers schmeichelnder Erscheinung.
Weiter gehe ich auf den Schwellen. Zwischen ihnen allerlei zerknautschte und vergilbte Fracht-, Zoll- und Gefahrenzettel, die in kyrillischer Schrift am schönsten, dort ein halber Totenkopf, hier ein Stück schwarzer Flamme auf verblichenem Rot. Auch mein Freund Kurt hätte seine helle Freude daran!
Mohn und Margeriten blühen neben den rostigen Gleisen. Auf der abgebrochenen Krone eines Krahns wippt eine Bachstelze. Tief unten am Dalben scheuert sich eine Schute.
Im Haus des Tallymanns sind die Fenster mit Plastikfolie bezogen. Rissig flattert sie im Hafenwind. Die Schublade unter der Schreibplatte ist halb geöffnet: ein Paar ölig verschmierte Handschuhe – ein Bündel Nägel – Arbeitsmappe mit Aufschrift „Toledo“ – Büroklammern, rostig – verstaubte Neonrohre – Markierungskreide.
Auf der Wand mit Schablonenschrift
ENOC – UMLC
VDB 2/88 TPP
ANNABA / TRAILER
Am krummen Nagel hängt eine Drahtschlinge, gegenüber ein Tau. Der Stuhl verwittert, am Boden ein Feuerlöscher, an die Wand gelehnt ein langer Eisenhaken. Außen diffuses Sprühwerk in allen Farben. Darüber grinst kreideweiß ein Milchgesicht mit Hut. Eine Inszenierung von Kienholz?
Die weißen Aufbauten eines tunesischen Frachtdampfers, dessen Schornstein einen roten islamischen Halbmond zeigt, welcher ein Segelschiff in gleicher Farbe umwölbt, türmen sich drüben am Afrika-Kai. Das Schiff heißt „Kairouan“. Eine Reise nach Kairouan? Nein, da waren schon andere! Lieber umkehren, dem Togo-Kai folgend, an den hellgrünen libyschen Containern vorbei, die im Kreis mit arabischen Schriftzeichen eine Dhau mit weißen Segeln in harmonischer Komposition zeigen. Ich öffne eine Containertür, und mich grüßt „Yokohama Nittu“ als leicht verwischter Comic-Geist.
Schön verpackt in hellen Plastiktüchern steht vor der Schuppenreihe am Windhuk-Kai ein riesiger abgeschrägter Quader. Die Schablonenschrift verrät eine gewaltige Maschine für Somalia. Konkurrenz für Christo, den Verpackungspapst?
Was aber hat der blauweiße isländische Kühlcontainer mit dem Eisbäremblem ausgerechnet am Eingang des Kamerunweges zu suchen? Und wohin rollt DEA, die Raffineriegöttin in ihrem roten Strahlenkranz auf dem Waggon unter der Argentinienbrücke?
Mit hartem Gegenstand in die Oberfläche eines Containers geritzt, der am Kronprinzenkai auf seine Verladung wartet, erscheint eine weibliche Gestalt in einladender Pose, umworben von einem männlichen Teil in kraftvollem Anflug, gekrönt mit einem roten Imco-Flämmchen. Ich nenne sie „Container-Queen“. Die Kraft der Linien und die pralle Suggestion des Obszönen übertreffen so manchen erotischen Coup des Wiener Jugendstils.
Wie eine eindrucksvolle große Bühne, auf der Schicksalsdramen inszeniert werden, wirkt das leere Schwimmdock im Vulkanhafen. Kielstapel als Folterbänke, Ketten vor hohen Stahlwänden, auf denen pathetische Farblandschaften zu sehen sind – grandiose Schöpfungen aus der Werkstatt des Zufalls, eine Schule des Tachismus. Über amorphen Farbnebeln kreuzen sich scharf begrenzte Rollspuren aus Graublau, Schwarz und Mennige. Die blutroten Spritzer auf dem kobaltblauen Feld scheinen noch frisch zu sein!
Genug der visuellen Signale und Gestaltungsanreize – man wird ja noch ganz blind im Kopf. Ich pfeif´ auf Atabaskahöft und such´ mein Glück am Tollerort! Da wartet Meister Tinguely auf mich. Und auf irgendeinen Bollwerkstein setze ich die Signatur
DIETER NESTLER, HAMBURG